Franka sitzt mit ihrer Mitbewohnerin Hannah und den Schüler*innen ihrer Klasse im Oberlandesgericht München und begleitet den NSU-Prozess um Beate Zschäpe, als sie ihre Vergangenheit einholt. Fluchtartig verlässt sie das Gericht - denn Franka hat selbst eine rechtsradikale Biografie, die sie lange verdrängt hat. Auch in ihrer Familie wurde darüber geschwiegen. Franka beschließt, in ihre Heimat, ein kleines fränkisches Dorf umgeben von Fischweihern und Feldern, zurückzukehren und sich endlich ihrer Vergangenheit zu stellen.In ihrem Debütroman "Unter Grund" erzählt Annegret Liepold von der schleichenden Radikalisierung einer Jugendlichen, die sich nach dem Tod ihres Vaters vor allem nach Zugehörigkeit und Freundschaft sehnt. Das Buch ist unterteilt in zwei Zeitstränge, einer spielt in der Gegenwart, in der Franka sich mit ihrer Mutter und Tante auseinander setzt und dadurch auch auf einen Nazi-Hintergrund in der Familie stößt, und einer in Frankas Jugend um die 00er Jahre, zur Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Durch das Einnehmen der Perspektive von Franka wird ihr Eintritt in die rechte Szene erschreckend nachvollziehbar, die Autorin urteilt nicht von außen, was Frankas Radikalisierung noch schmerzhafter macht. Als Jugendliche sucht sie einfache Antworten auf komplexe Fragen, lässt sich verführen von der Einfachheit des Hasses und dem Gefühl eines "wir" gegen "die anderen". In ihren Zwanzigern als angehende Lehrerin sucht sie nach einem Weg, mit ihrer rechtsradikalen Vergangenheit umzugehen und das Schweigen darüber zu brechen. Annegret Liepolds Roman ist eine Warnung und gerade hochaktuell, sieht man doch immer wieder, dass rechte Akteure besonders auf junge Menschen zugehen und sie umwerben. Für mich ist "Unter Grund" ein sehr gelungenes Debüt, in das ich sprachlich zwar erst hineinfinden musste, mich dann aber umso mehr gepackt hat.