Ein Déjà-vu im urbanen Magie-Milieu.
Wer sich in die Welt der Urban Fantasy begibt, stößt früher oder später unweigerlich auf Jim Butchers legendäre Dresden Files. Seit über zwei Jahrzehnten prägt Harry Dresden, der zynische, aber liebenswerte Magier-Detektiv aus Chicago, das Genre. Mit seinem Trenchcoat, seinem trockenen Humor und seiner unerschütterlichen Moral hat er Maßstäbe gesetzt und eine ganze Generation von Fantasy-Lesern und -Autoren beeinflusst. Kaum eine Reihe verbindet Krimi, Action, Magie und eine so detailreich ausgearbeitete Welt auf vergleichbare Weise.Nun tritt Benedict Jacka mit "Das Labyrinth von London" auf die Bühne und präsentiert den Auftakt seiner Alex-Verus-Reihe. Der Roman wirbt mit einem ähnlichen Versprechen: ein eigenwilliger Magier als Erzähler, ein Großstadt-Setting voller Geheimnisse und eine magische Gesellschaft, die im Schatten der normalen Welt existiert. Schon auf den ersten Seiten spürt man: Jacka kennt die Dresden Files - und er weiß, was daran funktioniert. Doch genau das macht die Lektüre zwiespältig. Einerseits fühlt sich "Das Labyrinth von London" sofort vertraut an, fast wie ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten. Andererseits ist es gerade diese Nähe, die den Vergleich unausweichlich macht. Denn während Alex Verus und Harry Dresden auf den ersten Blick Brüder im Geiste zu sein scheinen, offenbaren sich bei näherem Hinsehen feine, aber entscheidende Unterschiede. Die zentrale Frage lautet also: Handelt es sich bei Jackas Werk um einen bloßen Abklatsch, der vom Ruhm Butchers zehrt - oder um eine eigenständige Variation, die dem Genre neue Facetten hinzufügt?Schon allein die Ähnlichkeiten der beiden Protagonisten - Alex Verus und Harry Dresden - springt einem direkt ins Auge; Beide sind Eigenbrötler, die sich lieber aus den Intrigen der magischen Obrigkeit heraushalten würden, aber doch immer wieder hineingezogen werden. Beide stehen im Dauerclinch mit der etablierten Magiergesellschaft, weil sie sich weigern, nach deren Regeln zu spielen. Und beide halten sich mit einem bescheidenen Business über Wasser - Dresden mit seinem Detektivbüro in Chicago, Verus mit einem unscheinbaren Magie-Shop im Norden Londons. Auch die Grundkonstellation ist erstaunlich ähnlich: Ein einzelner Magier, umgeben von übermächtigen Fraktionen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, und doch gezwungen, immer wieder Stellung zu beziehen. Diese Figurenposition - das Außenseitertum zwischen den Fronten - prägt beide Reihen so stark, dass man sich bei Jacka kaum des Eindrucks erwehren kann, er habe sich sehr bewusst an Butchers Erfolgsrezept orientiert. Struktur, Tonfall, ja selbst die Art, wie die Hauptfigur im Universum verankert ist - alles erinnert frappierend an die Dresden Files.Dennoch lohnt es, die Unterschiede herauszuarbeiten. Alex Verus wirkt weniger ruppig und sarkastisch als Harry Dresden. Wo Dresden schnell zur Konfrontation neigt und sich auf rohe Magie verlässt, bleibt Verus zurückhaltender - er ist vorsichtiger, leiser, subtiler. Der entscheidende Unterschied liegt in seinen Kräften: Verus ist ein Wahrsager. Er sieht mögliche Zukünfte, kann Gefahren erahnen und so Entscheidungen optimieren. Das macht ihn weniger zum Kämpfer als zum Stratege. Diese hellseherische Perspektive gibt der Reihe einen eigenen Dreh. Kämpfe laufen nicht über Feuerbälle oder Donnerschläge, sondern über Vorahnung, Ausweichmanöver und kluge Planung. Hier zeigt Jacka, dass er trotz aller Nähe zu Butcher eine eigene Stimme findet.Noch deutlicher als bei den Figuren zeigt sich der Unterschied im Weltenbau. Jim Butchers Dresden Files sind ein wilder Jahrmarkt der Mythen: Vampire, Werwölfe, Feen, Götter - die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Gerade diese Vielfalt macht den Reiz der Reihe aus: Man weiß nie, welches Fabelwesen im nächsten Band hinter der Straßenecke lauert.Benedict Jacka schlägt hier einen anderen Weg ein. In der Alex-Verus-Reihe steht die Welt der Magier im Zentrum - und fast ausschließlich sie. Natürlich existieren auch bei ihm übernatürliche Kreaturen, doch sie bleiben Randerscheinungen - nicht zuletzt, weil viele als ausgestorben gelten. Das Herzstück der Handlung sind die Machtkämpfe zwischen den weißen und den schwarzen Magiern, Loyalitäten und Fehden. Dieser Fokus verändert den Ton des gesamten Romans. Statt einer überbordenden, mythischen Vielfalt wirkt Jackas London enger, kontrollierter, beinahe politisch. Konflikte entstehen nicht, weil uralte Monster aus dem Dunkel kriechen, sondern, weil sich Magier in Intrigen verstricken, Allianzen bilden oder brechen und ihre Macht gnadenlos ausspielen. Das Ergebnis ist eine verschlankte, aber scharf gezeichnete Bühne - weniger spektakulär, dafür strategisch verdichteter.Der vielleicht spannendste Unterschied zwischen Alex Verus und Harry Dresden ist die Art ihrer Kräfte. Harry ist ein klassischer offensiver Magier - Eis, Feuer, rohe Gewalt. Alex hingegen ist ein Wahrsager. Er kann unzählige mögliche Zukünfte durchspielen, Szenarien vergleichen und so den Weg finden, der ihn am besten durch eine Situation bringt. Das klingt zunächst nach einer Schwäche: Hellsehen wirkt passiv, ungreifbar. Aber Jacka schafft es, daraus eine faszinierende Fähigkeit zu machen. In Kämpfen ist Verus oft der Unterlegene, doch er überlebt, weil er weiß, welche Schritte er wann setzen muss. Entscheidungen, die andere Figuren im Affekt treffen würden, wirken bei ihm berechnend, beinahe schachspielerisch. Gerade dadurch entsteht eine eigene Dynamik, die die Reihe von den Dresden Files unterscheidet. Wo Dresden mit Magie "durch die Wand" geht, schlängelt sich Verus durch die kleinste Lücke.Liest man "Das Labyrinth von London", erkennt man unübersehbar, wie sehr Jacka sich von Butcher hat inspirieren lassen. Zu viele Parallelen springen ins Auge: der einsame Magier, der kleine Laden, die Außenseiterrolle, das ständige Verstricktsein in Konflikte, die ihn zu überrollen drohen. Man könnte fast sagen: Alex Verus ist eine britische Version Harry Dresdens - mit Tee statt Kaffee, London statt Chicago. Diese Nähe wirkt einerseits vertraut, andererseits bremst sie den Lesegenuss, weil man unwillkürlich immer wieder den Vergleich zieht.Am Ende bleibt man zwiegespalten zurück. "Das Labyrinth von London" ist ein solider Urban-Fantasy-Roman, spannend geschrieben, mit einer cleveren Hauptfigur und einem originellen Ansatz durch die hellseherischen Kräfte. Gleichzeitig ist der Schatten der Dresden Files so groß, dass Jackas Werk fast zwangsläufig darunter leidet.Man will die Alex-Verus-Reihe mögen - und vieles spricht auch dafür. Doch wer einmal mit Harry Dresden durch Chicago gestreift ist, wird es schwer haben, Alex Verus nicht als zweiten Aufguss zu empfinden. Vielleicht liegt die Lösung darin, die Buchreihe nicht als Konkurrenz zu lesen, sondern als Variation: ein "Was wäre, wenn?", das die vertraute Formel aufgreift, aber mit anderen Schwerpunkten versieht. Wem das gelingt, der findet in "Das Labyrinth von London" einen vielversprechenden Einstieg in eine Reihe, die zwar nicht ganz aus Dresdens Schatten heraustritt - aber dennoch irgendwo ihr eigenes Licht hat.