Ein spannendes Verwirrspiel voller origineller Charaktere und unerwarteter Zusammenhänge.
Gleich zu Beginn dieses Romans gibt es eine Szene, die sich kurz darauf wiederholt, und wunderbar illustriert, wie der Mensch sich selbst betrügt. Phyl, die gerade die Uni hinter sich gebracht hat, arbeitet in einem Sushi-Restaurant am Flughafen Heathrow, wo sie auch regelmässig den Lift benutzt, dessen Türen jeweils automatisch auf- und zugehen. Nichtsdestotrotz drücken Lift-Benutzer meist die Knöpfe, obwohl es überhaupt keinen Unterschied macht, ob man sie drückt oder nicht. Und glauben so das Geschehen zu kontrollieren. Nur eben: Es ist ein Irrglaube, ein Wahn. Nicht nur die KI, auch das Unbewusste dirigiert uns schon lange.Boris Johnson musste gehen, Liz Truss ist ihm nachgefolgt. "Sie trat ans Mikrofon und richtete ihre gewohnt ungeschliffenen Worte an die Nation." Der Journalist Christopher Swann macht sich auf die Spur eines in Cambridge gegründeten rechtsradikalen Zirkels, der in einem alten Herrenhaus eine Konferenz durchführt, von der jedoch die Öffentlichkeit, insbesondere die kritische, tunlichst ferngehalten werden soll. Man zieht Gleichgesinnte vor.Die Initianten der TrueCon-Konferenz sind sehr davon angetan, dass mit Liz Truss und Kwasi Kwarteng zwei der ihren nun an den Schalthebeln der Macht sitzen, Leute also, für die so ziemlich alles woke zu sein scheint, was auch nur halbwegs an einen sozialen Staat erinnert.Dann wird die Leiche von Christopher Swann aufgefunden, was Detective Inspector Prudence Freeborne sowie ihren Kollegen DS Jakes auf den Plan ruft. Ihre no-nonsense Befragungen sind ein wahrer Genuss! Zudem steht Prudence auch ihr Mann zur Seite. "Nicht, dass er einen brillanten Verstand gehabt hätte; vielmehr besass er - ähnlich wie Holmes' treuer Dr. Watson - die Gabe, Bemerkungen zu machen und Fragen zu stellen, die genau das richtige Mass an Begriffsstutzigkeit aufwiesen, um nützlich zu sein."Königin Elizabeth stirbt; in der Schlange bei der Abdankung räsoniert Detective Inspector Prudence Freeborne über die extremen Konservativen, die vor allem auszeichnet, dass sie stets wütend sind und dass für sie alles absolut sein muss. Nur eben: "... nichts im Leben ist jemals absolut, so läuft das einfach nicht."Jonathan Coe liefert mit diesem Roman auch politische Aufklärung, insbesondere über die jungen Konservativen mitten in Amerika ( "Ein Haufen Fetischisten der freien Marktwirtschaft und Libertäre mit Bürstenschnitt."), für die Nixons Öffnung nach China bereits zu weit ging. Die 1980er waren die Zeit von Reagan (dass jemand den ernst nehmen konnte!) und Thatcher, beide kein Betriebsunfall, wie die nachfolgende Entwicklung zeigen sollte. Nach wie vor, nur heutzutage wesentlich unverblümter, geht es bei konservativer Politik darum, alles zu zerstören, was als soziale Errungenschaften gelten müssen. Am Offensichtlichsten zeigt sich das derzeit in den USA:Der Beweis meiner Unschuld ist eine unterhaltsame Abrechnung mit Grossbritanniens radikalen Konservativen, an denen so recht eigentlich wenig konservativ, dafür viel gierig und egoistisch ist. Dabei überaus gelungen ist die Schilderung des Studentenlebens in Cambridge (kein Wunder, der Autor hat in der Zeit, in der der Roman spielt, dort studiert), auch weil so recht eigentlich spürbar wird, wie aggressiv der Umgang miteinander (gegeneinander trifft es besser) in Grossbritannien ist, wo Debatten zur Vernichtung eingesetzt werden.Darüber hinaus ist Der Beweis meiner Unschuld ein spannendes Verwirrspiel voller origineller Charaktere und unerwarteter Zusammenhänge. Schauplätze sind unter anderem Südfrankreich und Venedig. Nicht zuletzt wird auch die Frage, wie die Werke eines Schriftsteller überleben können, wenn er einmal das Zeitliche gesegnet hat, beantwortet ...