Nicht nur, dass vordergründig eine Art Kriminalroman mitschwingt, wenn Paula Hawkins der Frage nachgeht, wieso in einer Skulptur einer bekannten, verstorbenen Künstlerin ein Menschenknochen wohl verarbeitet wurde (und die Frage in den Raum tritt, was eigentlich aus dem Ehemann der Künstlerin geworden sein könnte, der damals einfach verschwunden ist). Sondern zudem ein Stück gesellschaftlicher Kunstgeschichte darüber, das lange Zeit Frauen in der Kunst als nicht ernst zunehmen galten. Und der Leser erhält auch, durch das Tagebuch der Künstlerin, dass als Perspektive immer wieder mit in die Seiten des Buches fließt, überaus nachvollziehbar und griffig einen wunderbaren Einblick in das "Schaffensdenken" der bildenden Kunst. Mitsamt einer Lebensgeschichte, die nicht wenige Geheimnisse in sich trug). "Es war wie das Ende der Welt! Ich habe ein neues Bild angefangen und mit dem Gefühl der Dringlichkeit gemalt, dass ich nicht erklären kann, nur dass die Dunkelheit und Angst mich einzusaugen und zu verschlingen schienen". Und, mit der Person der Grace, Freundin und Nachlassverwalterin der Vanessa Chapman und nun einzige Bewohnerin der "Refugium-Insel" der Künstlerin, auch differenziert und emotional dicht gestaltete Einblicke in eine Freundschaft, die viele Dimensionen menschlicher Persönlichkeiten widerspiegelt. Zuneigung, Neid, Verletzungen, das zueinander sich verhaltende Wechselspiel zwischen solider "grauer Maus" und dem von Leidenschaften getriebenen und dadurch hoch attraktiven Charakter der Künstlerin. Mitsamt natürlich der Nähe, die zu James Becker entstehen wird. Einer, der nicht wirklich mit der Welt der "Geschäfte mit Kunst" und den Ellbogen der modernen Zeit zurechtkommt. Und sich doch mittendrin befindet. Und der mit der Suche nach dem Hintergrund des Knochens im Kunstwerk auch in gewisser Form eine Reise zu sich selbst absolvieren wird. Wenn er, fast ehrfurchtsvoll, auf dem Felsen von "Eris Island" steht. Der Ort auf der Insel, an dem Vanessa Chapmann ihre wohl besten Bilder gemalt hat und Inspiration für fast alle ihre Werke gefunden hat. Der Ort, der nur bei Ebbe erreicht werden kann und auf dem aktuell nur eine Person wohnt. So, wie es auch zu Chapmanns Zeiten zunächst war. "Wenn Beck seine Frau anschaut, hat er manchmal das Gefühl, das ihm das Herz überläuft. Dass es kaum noch in seine Brust passt, weil es randvoll mit Liebe ist". James Becker, einer der letzten echten Romantiker der Gegenwart, so könnte man meinen und so fließt er aus der Inspiration von Paula Hawkins. Die diese verschiedenen Ebenen ihrer Erzählung in bester Form, mit einer wunderbar fließenden Sprache, griffigen Wortbildern und einer spürbar großen Zuneigung zu Ihren Figuren (auch den weniger sympathischen Protagonisten) durchgehend zusammenbringt und ein komplexes und dennoch verständliches und flüssiges Leseerlebnis komponiert, das zudem auch noch an Spannung zu nimmt, je näher Becker und Leser und Leserinnen den Hintergründen des Knochens und der Dramen des Lebens gelangen. Eine Geschichte, in der noch lange nicht alles so ist, wie es scheinen mag und in der auch die Hauptpersonen ebenfalls die ein oder andere Heimlichkeit in sich tragen, die erst langsam zu Tage treten wird. Eine sehr zu empfehlende Lektüre. www.rezensionsseite.de