Besprechung vom 19.07.2025
Brühwürfel
Volker Reinhardt gibt eine Weltgeschichte
Der Buchmarkt kennt sie schon lange, die "very short introductions" zu Themen, die viel zu groß anmuten, um sie auf knappem Raum erläutern zu können. Solche Kürzestdarstellungen wissen im gelungenen Fall nicht nur deswegen zu überzeugen, weil sie ein riesiges Problemfeld auf Brühwürfel-größe konzentrieren, sondern weil sie allen Ahnungslosen eine Ahnung davon vermitteln, was an dem Gegenstand wichtig sein könnte.
Nun ist, so könnte man meinen, mit Volker Reinhardts "Die Geschichte der Welt" die kürzestmögliche Synopse des größtmöglichen Zusammenhangs erschienen. So etwas lässt sich ja nur schreiben, wenn man ein wie auch immer geartetes Wesentliches identifiziert. Es geht um die Kunst des Weglassens - und um die Frage, was nach dem Weglassen übrig bleibt.
Volker Reinhardt ist in Sachen Konzentrationsarbeit fraglos ein Berufener, wartet er doch in regelmäßiger Taktung mit Überblicksdarstellungen auf, insbesondere zur Geschichte der romanischen Welt in der Frühen Neuzeit. Diese Expertise geht auch an der vorliegenden Weltgeschichte nicht spurlos vorüber. Die einleitende Frage, wie sich eine Geschichte der Welt überhaupt schreiben ließe, beantwortet Reinhardt mit Unterstützung von Francesco Guicciardini (1483 -1540) und Giambattista Vico (1668 -1744). Mit ihnen will er vermeiden, entweder den dunklen Verlockungen der Weltuntergangsnarrative oder dem blendenden Strahlen des Fortschrittsoptimismus zu verfallen. Stattdessen geht es um Geschichte als beständiger Aufbruch ins Unbekannte. Auf Wertungen, Vorhersagen und auch besserwisserisches Nachhersagen sollte dabei eher verzichtet werden.
Von hier aus geht es im Sauseschritt in fünf Kapiteln von der Steinzeit bis in die 2020er-Jahre. Selbst der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Israel-Palästina-Krieg kommen auf den letzten Seiten noch vor. Die Einteilung ist chronologisch, mit durchaus etablierten Epochenschnitten: von der Steinzeit zu den frühen Hochkulturen, gefolgt vom Zeitraum, der in Europa als Antike bekannt ist, dann über das Mittelalter und über die 1450 einsetzende Neuzeit zum abschließenden "tödlichen Jahrhundert" zwischen 1914 und unserer Gegenwart. Inhaltlich geht es durchaus erwartbar um Herrschaftsbildungen, große Konflikte, ökonomische Konjunkturen und die Ausbildung sowie Ausbreitung einflussreicher Religionen. Gut abgehangenes Schulwissen, so ließe sich sagen, das tatsächlich Wesentliches konzentriert.
So kann die Geschichte der Welt geschrieben werden. Und doch drängt sich irgendwann die Frage auf, ob sie immer noch so geschrieben werden sollte. Schon anhand der Chronologie dürfte auffallen, dass Reinhardt eine an Europa orientierte Einteilung von Zeitabschnitten vornimmt. Keine Frage, die anderen Weltregionen kommen durchaus vor. Und doch konzentriert sich deutlich mehr als die Hälfte der Darstellung auf den europäischen Kontinent. Danach folgen, in deutlich absteigender Reihung, Asien, Amerika, Afrika und Ozeanien.
Fraglos beeindruckt die Weite des thematischen Anspruchs, dem unter anderem auch das ansonsten übliche Literaturverzeichnis zum Opfer fiel, um noch ein bisschen mehr Welt auf die wenigen Seiten zu pressen. Aber weil bei einer solchen Miniweltgeschichte nie alles geht - was auch immer "alles" sein sollte -, kommt dem Kompositionsprinzip eine umso größere Bedeutung zu. Und ob man sich auf die üblichen, das heißt eurozentrischen chronologischen und geographischen Einteilungen verlassen muss, ist zumindest eine Nachfrage wert. Wie wäre es, um nur eine Möglichkeit zu nennen, mit einer Darstellung nach Themen, anhand derer verschiedene Teile der Erdbevölkerung miteinander in Kontakt treten?
Das Problem ist also nicht die begrenzte Anzahl der Seiten. Das Problem steckt wohl schon im Buchtitel: die Geschichte der Welt. Zwei Kollektivsingulare mit bestimmtem Artikel, bei denen bereits selbstverständlich festzustehen scheint, um was es sich bei "Geschichte" und "Welt" handelt. Dabei sollten aktuelle Diskussionen und Herausforderungen doch gerade als Einladung verstanden werden, solche Selbstverständlichkeiten anders zu bedenken. Das würde auch den Überlegungen von Guicciardini und Vico entsprechen, dem Ungewissen im Historischen mit mehr Freundlichkeit zu begegnen. ACHIM LANDWEHR
Volker Reinhardt: "Die Geschichte der Welt". Völker, Staaten und Kulturen von den Anfängen bis heute.
C.H. Beck Verlag, München 2025. 144 S., Abb., geb.
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