Ich habe mir viel mehr von diesem Buch versprochen. Enttäuschend!
Mit dem Roman ¿Ein anderes Land¿ von James Baldwin habe ich mich schwergetan. Ich habe mir den Roman in der Hörbuchversion angehört, gesprochen von dem wunderbaren Christian Brückner. Am Vortrag kann es also nicht gelegen haben.Mir ist bekannt, dass ¿Ein anderes Land¿ im Jahr seines Erscheinens 1962 sehr viel Aufsehen erregte. Mit Themen wie Rassendiskriminierung, Homosexualität, Selbstmord, Sex und Gewalt, Ehebruch, Prostitution und Drogen packt Baldwin nicht nur für die damalige Zeit heiße Eisen an und fordert von seinen Leserinnen und Lesern eine unbedingte Bereitschaft, ihm durch diese zum Teil tragische, deprimierende und hoffnungslose Themenvielfalt zu folgen.Auch wenn das Buch sich im Kern neben diesen Themen auch stark um Liebe und Freundschaft dreht, habe ich im Grunde genommen wenig Positives und zuversichtlich Stimmendes mitnehmen können. Das war wohl auch nicht Baldwins Absicht, aber nach zwischenmenschlichen Lichtblicken sucht man in diesem Buch vergeblich. Der Roman beginnt mit dem jungen schwarzen begabten Jazzmusiker Rufus und dessen unglücklichen und am Ende tragischen Liebe zu einer weißen Frau aus den Südstaaten. Sie ist auf der Flucht vor ihrem alten Leben und wirkt im New York der 1950er Jahre ein wenig orientierungslos und deplatziert. Die Einstiegsgeschichte dieses ungleichen Paares, das mit Rufus Selbstmord endet, ist atemberaubend und extrem intensiv geschrieben.Daran anschließend taucht der Roman sehr ausschweifend und detailliert in das Leben einer Clique ein, die alle mehr oder weniger mit Rufus befreundet waren. Und bei allen spürt man seinen Schatten, erinnern sich die handelnden Personen an ihre Erlebnisse mit Rufus und welche Auswirkungen diese auch für ihr gegenwärtiges Leben haben.Vivaldo, einst Rufus bester Freund, ein bislang erfolgloser Schriftsteller, der als weißer Mann immer wieder seine Beziehung zu Menschen mit schwarzer Hautfarbe hinterfragt und erforscht. Angefangen über seine Freundschaft zu Rufus, danach über regelmäßige Besuche von schwarzen Prostituierten bis hin zu seiner Liebe zu Ida, Rufus Schwester, zu der er nach dem Freitod seines Freundes intensiv Kontakt sucht.Ida steht Vivaldo und der Liebesbeziehung zu einem weißen Mann zwiespältig gegenüber. Ähnlich wie ihr Bruder Rufus traut sie den Weißen nie hundertprozentig und wittert immer eine latente Ablehnung in Liebe und Freundschaft, ein Gefühl, nie wirklich dazuzugehören. Weder zu Vivaldo als Geliebte, noch zu dem Rest der Clique als voll akzeptierte Frau und Freundin. Sie strebt eine Karriere als Jazzsängerin an und ist bereit, für diese Karriere so ziemlich alles zu tun.Dann gibt s noch das anfänglich sympathische Intellektuellen-Pärchen Cass und Richard mit ihren beiden kleinen Söhnen, die eine vorbildliche Ehe zu führen scheinen. Anfangs wirken sie wie der Dreh- und Angelpunkt der Clique. Sie stehen allen mit Rat und Tat zur Verfügung, geben Partys, wirken entspannt, tolerant und offen. Richard hat gerade seinen ersten erfolgreichen Roman auf den Markt gebracht. Alles scheint für ihn und seine Familie in die richtige Richtung zu laufen. Aber sein Erfolg hat einen bitteren Beigeschmack. Statt des erhofften literarisch großen Wurfs hat Richard sich für Unterhaltungsliteratur entschieden und damit die Erwartungshaltung seiner Frau Cass und die des jüngeren Autors Vivaldo enttäuscht. Der bleibt lieber erfolglos auf der Suche nach dem großen Wurf.Und dann lernen wir noch Eric kennen, einen zunächst erfolglosen Schauspieler, der nach einer gescheiterten Liebesaffäre mit Rufus nach Frankreich geflohen ist, und dort seit zwei Jahren glücklich und zufrieden mit dem deutlich jüngeren Yves zusammenlebt.Mit Erics Rückkehr nach New York beginnt der endgültige Zerfall der Clique. Eric geht zunächst eine Affäre mit Cass ein, die nicht nur wegen Richards Selbstverliebtheit und seinem für sie wenig beeindruckenden Roman frustriert ist, sondern auch grundsätzlich von ihrer Entwicklung als Hausfrau und Mutter an der Seite eines Mannes, der sich für sie als Frau nicht mehr zu interessieren scheint. So landet sie nach sexuellen Tagträumen beinahe zwangsläufig im Bett mit Eric, dem es scheinbar nichts ausmacht, dass sie ausgerechnet mit ihm ihre Ehe aufs Spiel setzt.Eric schläft dann auch noch mit Vivaldo und der muss am Ende seinerseits erfahren, dass seine große Liebe Ida ihn nicht nur mit einem einflussreichen Produzenten betrügt, sondern als Prostituierte mit vielen weißen Männern geschlafen hat. Als Hass auf die Weißen, aber auch als Hass auf sich selbst und ihre ambivalente Gefühlswelt. Sie weiß eigentlich nie so genau, wohin sie gehört, wem sie was glauben soll, wem sie vertrauen kann. Und unterschwellig macht sie genau die Menschen für den Tod ihres Bruders verantwortlich, die eigentlich seine Freunde gewesen sind.Das ist alles sehr tragisch, sehr dramatisch und aussichtslos. So wirklich habe ich für keine der beschriebenen Figuren Sympathien oder wenigstens Verständnis entwickeln können. Viele Probleme und daraus resultierende Diskussionen waren letztendlich selbstverschuldet. Vieles reduziert sich am Ende immer auf das Sexuelle und Triebhafte, und das in den unterschiedlichsten Konstellationen.Wobei Baldwin die größte und tiefgreifendste Wortgewalt besonders in den Beschreibungen der homosexuellen Beziehungen entwickelt und das mit wirklich außergewöhnlichen und starken Bildern. Dagegen fällt die Darstellung der Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen etwas ab, und überhaupt wirken die Frauen in diesem Roman unschärfer und unzugänglicher. Auch selbstsüchtiger.Rufus Freitod ist verbindend und trennend zugleich. Zum einen hatte jeder eine freundschaftliche Beziehung zu ihm, bzw. Ida eine familiäre Bindung. Zum anderen gibt es überall auch Geheimnisse, Zweifel, Missverständnisse und ungeklärte Momente.Das Lesen, bzw. in meinem Fall das Hören des Romans wurde zunehmend anstrengend und unbefriedigend, weil ich irgendwann immer mehr das Interesse am Schicksal der einzelnen Personen zu verlieren begann. Mir fehlte meistens der emotionale Zugang zu den Figuren, das Verständnis für ihr Handeln und ihre Entwicklung. Mit dieser Distanz hab ich mich dann bis zum Ende durchgequält, mit dem deprimierenden Gefühl, dass mir das Schicksal sämtlicher Figuren letztendlich egal war bzw. egal wurde. Am Ende sogar das von Vivaldo, der doch eine recht lange Zeit der für mich angenehmste Charakter war. Bis auch er sich von diesem nimmersatten Eric verführen lässt. Ehrlich: Das war mir dann doch eine Drehung zu viel in diesem Liebesreigen.Es steckt bestimmt eine Botschaft in diesem Buch. Aber mir hat sie sich leider nicht restlos offenbart. Weil die Personen und ihre Beziehungen in ihrer gesamten dramaturgischen und schicksalhaften Verflechtung mich emotional nicht berühren konnten. Die Themenvielfalt ist groß, gemacht wurde nach meinem Empfinden daraus zu wenig.