Leben in einem geplatzten Traum
Eine junge Familie zieht aufs Land, voll mit naiven Vorstellungen über das glückliche, weil entschleunigte Leben auf dem Lande. Ein Wildunfall bringt Bewegung in die Geschichte. Ingo, der Familienvater, hat nämlich eine weiße Hirschkuh auf den Kühler genommen. Weiße Hirschkühe sind selten und daher mit allerhand mythisch-religiösen Vorstellungen behaftet. Hier ist es der Aberglaube, dass der Tod einer weißen Hirschkuh den Tod des Verursachers zwingend nach sich zieht.
Das sind die Grundlagen, auf denen der Roman aufbaut und von denen aus nun der Leser in das Dorfleben eintaucht. Die Autorin stellt uns einige der Bewohner vor, deren Beziehungen untereinander sie genau beobachtet. Dabei wird die Idee eines idyllischen Landlebens demontiert. Tradierte Rollenbilder kommen zum Vorschein, die mit zeitgenössischen Lebensentwürfen zusammenprallen; private Enttäuschungen, Probleme bei der Hofübergabe, Überarbeitung, Verschuldung durch Modernisierung, der Zwang zur Neu-Ausrichtung des Betriebes, Zuzug aus der Stadt all das führt uns die Autorin in dem Mikrokosmos des Dorfes vor.
Auf der anderen Seite baut die Autorin wiederum eine Idylle auf, wenn sie vom starken Gemeinschaftsgefühl und der gegenseitigen Verantwortlichkeit und Hilfeleistung erzählt. Die Gemeinschaft zeigt sich unter anderem in einer Fülle von Festen, die das Dorf überziehen. Das Dorf hangelt sich von Fest zu Fest, und man wundert sich, dass ein so kleines Dorf mit nur 200 Seelen dafür hinreichend Publikum bietet: Altenweihnacht, Kindervogelschießen, Feuerwehrfest, Sommerball, Skat- und Pokerabende, runde Geburtstage, Hochzeiten, und immer backen die Frauen Kuchen und machen Salate, und es wird fleißig Schnaps bis zum Umfallen getrunken.
Die Handlung plätschert freundlich dahin. Der Leser schaut mal bei Ingo und Lara vorbei, die in ihrem zu großen und zu teuren Haus frieren und sich zunehmend entfremden, dann schaut er in die Wohnküche des jähzornigen Enno und seiner Tove, dann besucht er die Reste einer Aussteiger-WG, dann begleitet er Uwe auf seinem Waldgang, um dann wieder einen langen Blick in die Wohnküche Ennos und Toves zu werfen, wobei dieselben Probleme vor dem Leser erneut ausgebreitet werden. Die Wiederholungen und vor allem die häufigen Paraphrasierungen machen die Probleme nicht deutlicher, sie machen die Handlung nur langatmiger. Der Aberglaube, immerhin der Ausgangspunkt der Handlung, taucht ab und an in Gesprächen auf, aber er entwickelt sich nicht zu einer dynamischen Handlungskette. Sicher: es geschehen einige Unglücksfälle, aber es handelt sich um Ereignisse, wie sie das dörflich-bäuerliche Leben eben so mit sich bringt.
Martina Behm kann gut erzählen, unbestrittten. Sie hat einen guten Blick für ihre Charaktere, auch wenn sie gelegentlich scharf am Klischee vorbeischrammt.
Julia Nachtmann, die Sprecherin, liest das Buch hervorragend ein. Eine klare Stimme, sehr schöne unaufdringliche Akzentuierungen ihr Vorlesen hat einen zusätzlichen Stern verdient!