Besprechung vom 10.04.2019
Fiesta, Fiesta Mexicana
Genrepomp und Poesie: Bela B Felsenheimer stellt in Frankfurt seinen Debütroman "Scharnow" vor.
Von Kai Spanke
Der Anfang der Lesung deutet aufs Ende des Lebens: "Leukämie! Nicht therapierbar! Sechs Wochen noch!" Drei Sätze, die Tristesse, Trauer und Tod versprechen. Dann der Nachklapp: "Scheiße!" Ist der Ton nur flapsig genug, so die durchschimmernde Botschaft des Fluchs, wird er die Tragik mit einem Quantum Komik würzen. Von dieser Spannung handelt auch das Werk, dem das Zitat entnommen ist: von hohem Ernst und Spaß, von in Form gebrachter Sprache und ungezügeltem Schmährausch, von beschädigten Leben und Außerirdischen, schwulen Eichhörnchen, verkaterten Superhelden sowie einem mordlüsternen Folianten. Und von Rex Gildo. Das jubilierend herausgeschmetterte "Hossa" seines Songs "Fiesta Mexicana" ist so etwas wie der lustig-trashige Jingle des Buchs und wird auch im Laufe des Abends immer wieder eingespielt.
Der Zeremonienmeister war bislang als Musiker, Schauspieler und Synchronsprecher bekannt. Nun hat Bela B Felsenheimer, 56 Jahre alter Schlagzeuger und Sänger der Band Die Ärzte, seinen Debütroman vorgelegt. 400 Seiten. Mehr als 30 tragende Figuren. Bestseller. Im ausverkauften Frankfurter Mousonturm veranstaltet er keine herkömmliche Lesung (Augen auf den Text, Flüsterton, Wille zur Feingeistigkeit), sondern eine fast zweistündige Unterhaltungsshow (Anekdoten, Gags, eingespielte Filme und Soundeffekte). Auf der Bühne: eine Leinwand, ein Schreibtisch und ein Ortsausgangsschild der erdachten brandenburgischen Stadt Scharnow, nach welcher der Roman benannt ist. Vorne links noch ein Videorekorder, da manche Figuren des Buchs italienische Gore-Filme ausschließlich auf VHS goutieren. Die Arbeitskluft des Autors: Pyjama und Pantoffeln.
Entsprechend leger ist auch das Publikum gewandet. Jene sanften Kunstfreunde, die mit ihren in den Gang fließenden Seidenschals feine Unterschiede markieren, finden sich hier genauso wenig wie urbane Dandys im vierfarbig karierten Zweireiher. Stattdessen Ärzte-Fans in Band-Shirts, kichernde Mädchen und Männer, die bei jedem Unterleibsscherz hörbar in Wallung geraten. Wie umschmeichelt man solche Gäste? So: "Der Frankfurter Applaus verwöhnt mich wie das Bouquet eines alten französischen Landweins." Oder so: "Eigentlich war die ganze bisherige Tour ein einziges Warm-up für diese Show." Um die Zuhörer auf Betriebstemperatur zu bringen, verteilt Bela B jene Plörre, die seine Charaktere am liebsten trinken. Sie heißt Mische und ist einfach zuzubereiten: 55 Prozent Fanta, 45 Prozent Korn. Bonus für die Frankfurter: ein Schuss Meisterschoppen.
"Scharnow", dessen Handlung der von Stephen King empfohlenen Losung "Anything goes" zu folgen scheint, ist in zwei Jahren entstanden: "Die Disziplinlosigkeit", sagt Bela B im Gespräch, "wurde zur Arbeitsregel, ich wollte zuallererst mal mich selbst immer wieder überraschen, weil ich das liebe." Das schließt Textkosmetik allerdings nicht aus. Der Autor hat an seinen Figuren gefeilt, bis sie atmeten, er hat nach dem richtigen Sound für die Metaphern gesucht und sich mitunter ganze Kapitel streichen lassen: "Der Roman ist das Experiment eines Debütanten, der das Glück hatte, eine Lektorin bei sich zu haben, die die Wildheit nicht totzerregelte." Herausgekommen ist ein luftiges Werk zwischen Genre und Kunst, Schund und Dichtung. Mit leichter Hand ist der Plot hingetupft, streberhaft ausgepinselt wirkt hier nichts.
Bela B, der in seinen Songs "Häkelgarn" auf "abgefahrn" und "Oberlippenbart" auf "Widerwart" reimt, gestaltet auch die Lesung, als befände er sich in Absurdistan. Dabei täuschen ein buntes Themen-Hopping sowie zündende und verhungernde Witze - für die aber wohlgemerkt Mitleidsbeifall eingefordert und großzügig gespendet wird - darüber hinweg, dass der Abend ausgezeichnet choreographiert ist. Eine Durchschnittslesung endet nach einer Stunde, weil alles andere für Autor und Publikum zu strapaziös wäre. Bela Bs kurzweilige Multimediaparade hingegen hält die Gäste durchweg bei Laune, denn hier herrschen ironischer Ernst und ernste Ironie. Die Fans werden gesiezt, weil das zum Habitus des Bestsellerproduzenten gehört; Lehrmeister wie Thomas Bernhard werden beim Namen genannt. Und dann wird neben Rex Gildo doch noch rasch ein Kotzgeräusch eingespielt. Mehrfach. Hintereinander. Diese Mische geht bestens auf.
Als Zugabe gibt Bela B, der übrigens ein großartiger Vorleser ist, Szenen zum Besten, die es nicht ins Buch geschafft haben. Warum nicht? Weil sie den Splatter-Begriff neu definieren oder Maßstäbe in Sachen Gossensprache setzen. Die Zuhörer johlen, der Künstler freut sich. Wird es irgendwann ein Sequel geben? "Ich habe von der Form her schon ein paar seltsame Ideen für ein zweites Buch." Hossa!
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