Takis Würgers neuer Roman "Für Polina" beginnt durchaus vielversprechend: Mit einem feinen Gespür für Sprache und Atmosphäre führt uns der Autor in die Welt seines Protagonisten Hannes ein, dessen Leben durch den frühen Tod der Mutter eine jähe Wendung nimmt. Anfangs wirkt die Geschichte eindringlich, beinahe poetisch. Doch was als sensibles Porträt eines traumatisierten Jungen beginnt, verliert sich bald in einer überkonstruierten und vorhersehbaren Liebesgeschichte, die am Ende mehr Sentimentalität als Substanz bietet.
Hannes hört nach dem Tod seiner Mutter nicht nur auf zu sprechen, sondern stellt auch sein Wachstum ein ein literarisches Motiv, das unweigerlich an Oskar Matzerath aus Grass' Blechtrommel erinnert, ohne allerdings dessen vielschichtige Dimensionen zu erreichen. Stattdessen wirkt diese Anleihe wie ein bloßes Stilmittel, das den Eindruck von Tiefe eher vortäuscht als tatsächlich herstellt.
Die größte Zumutung für mich stellt jedoch die Entwicklung von Hannes zum gefeierten Konzertpianisten dar. Obwohl er sich über Jahre hinweg weigert zu spielen und zudem einen Finger verloren hat, steht dieser offenkundige Widerspruch seinem internationalen Erfolg nicht im Weg hier verliert die Story jegliche erzählerische Glaubwürdigkeit. Die Realität wird glattgebügelt, jede Widrigkeit des Lebens erscheint letztlich nur wie ein Stolperstein auf dem Weg zu einem kitschigen Happy End, das so süß daherkommt, dass es beinahe schmerzt.
Auch das Frauenbild des Romans bleibt fragwürdig. Mit Ausnahme von Hannes Mutter Fritzi wirken die weiblichen Figuren entweder platt oder klischeehaft überzeichnet. Wenn sich Männer verlieben, dann stets auf Grundlage äußerlicher Reize innere Konflikte oder Persönlichkeitsmerkmale scheinen zweitrangig. Besonders ärgerlich ist dabei die Darstellung der titelgebenden Polina: Als Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte steht sie im Mittelpunkt, doch sobald sie sich für ein selbstbestimmtes Leben entscheidet, wird ihre Perspektive weitgehend ausgeblendet. Ihr Weg ohne Mann an der Seite bleibt nicht nur unbeleuchtet er scheint erzählerisch kaum von Bedeutung zu sein.
So bleibt "Für Polina" ein Roman, der auf den ersten Blick zu unterhalten weiß, aber bei näherem Hinsehen enttäuscht. Zu glatt, zu sentimental, zu schematisch. Statt die Widersprüche des Lebens ernst zu nehmen, schiebt Würger sie beiseite und liefert ein Werk, das mit großer Geste von Liebe spricht, letztlich aber an der Oberfläche bleibt. Schade, denn der Anfang zeigte, dass da mehr möglich gewesen wäre.
Fazit: Ein ambitioniert beginnender Roman, der leider in Kitsch und klischeehafter Konstruktion versinkt mit einem Frauenbild, das mehr Fragen aufwirft als Charaktertiefe liefert.