Rin Usamis Debütroman "Idol in Flammen" hat mich auf verschiedenen Ebenen sehr beeindruckt, erzählt er doch in klarer Sprache von einer Szene, die wir in Europa wenig bis gar nicht kennen. Ganz ähnlich ging es mir auch mit ihrem zweiten Roman "Kankos Reise", ins Deutsche übersetzt von Luise Steggewentz. Mit Kanko treffen wir auch diesmal auf eine junge Protagonistin - sie ist Schülerin, Zweitälteste von drei Kindern und: sie leidet unter Depressionen. Damit stößt sie bei ihren Eltern jedoch auf Unverständnis - sie soll sich mal nicht so anstellen, die Schule ist schließlich wichtig.So zumindest der Tenor, in dem Kankos Umfeld auf ihre Erkrankung reagiert. Das allein ist schmerzhaft zu lesen, doch "Kankos Reise" geht noch wesentlich tiefer. Der Roman erzählt von der japanischen Gesellschaft als einer Gesellschaft des Leistungsdrucks, in der Scheitern verurteilt wird und oftmals schlichtweg keine Option ist - wer doch "scheitert", unter dem Druck zusammenbricht oder an Depressionen oder anderweitig erkrankt, der empfindet sich selbst als Last und wird auch von seinem Umfeld als Last empfunden.Der gesellschaftliche Druck, zu funktionieren und Spitzenleistungen zu erbringen, zeigt sich in jedem Aspekt von Kankos Leben. Darin, wie er Vater sie regelmäßig auf Höchstleistungen drillt, darin, wie zerrüttet das Verhältnis zu ihren Geschwistern ist, und darin, wie stark Kankos Leben darauf ausgerichtet ist, ihren Eltern zu gefallen und ihnen alles rechtzumachen. Dabei wird schnell klar, dass auch sie Probleme und Traumata haben, die sie daran hindern, auf ihre Kinder und ihre Bedürfnisse einzugehen bzw. überhaupt erst einmal zu erkennen, dass mit Kanko etwas nicht stimmt.Es ist Rin Usamis Stärke, in präzisen und knappen Worten auf den Punkt zu bringen, was es bedeutet, in einer Leistungsgesellschaft ständig unter Druck zu stehen und am Ende zu "versagen". Obwohl mir die Charaktere zum Teil etwas unnahbar blieben, habe ich vor allem an Kankos Leben Anteil genommen - was es bedeuten muss, als Schülerin in diesem System rund um die Uhr Spitzenleistungen erbringen zu müssen, unter Dauerstress zu stehen und dabei ständig Angst zu haben, die Gesellschaft und vor allem die eigenen Eltern zu enttäuschen, ist fast unvorstellbar. Umso fantastischer ist es, dass es junge Stimmen wie die von Rin Usami gibt, die auf solche Probleme aufmerksam machen - und das mit starken Worten.