Die Juristin Susanne Tägder konnte mich schon mit ihrem Debut Das Schweigen des Wassers überzeugen und gespannt erwartete ich die Fortsetzung.
Die schließt nahtlos an den Vorgänger an. Im Zentrum steht wieder Hauptkommissar Arno Groth, der im Herbst 1991, nach zwanzig Dienstjahren bei der Hamburger Polizei, als Aufbauhelfer Ost in seine Geburtsstadt Wechtershagen in Mecklenburg-Vorpommern zurückgekehrt ist. Seit drei Monaten lebt er nun hier, doch richtig angekommen ist er noch nicht. Da landet eine Vermisstenanzeige auf seinem Schreibtisch: Der elfjährige Matti war nur kurz einkaufen und ist seitdem spurlos verschwunden. Groth ordnet eine großangelegte Suchaktion an, auch Nachbarn beteiligen sich, denn bei der Kälte ist Eile geboten. Doch die Suche bleibt ergebnislos. Zwei Tage später wird in einem Keller die Leiche des Jungen gefunden. Indizien weisen auf einen ortsbekannten Alkoholiker hin, der dann tatsächlich nach einem zermürbenden Verhör die Tat gesteht. Aber Groth hat seine Zweifel, berechtigt, wie sich bald herausstellt. Stattdessen beginnt er einer anderen Spur nachzugehen. Vor ein paar Jahren verschwand in der Gegend schon einmal ein Junge, der Fall wurde nie gelöst.
Die Ermittlungen führen Groth in eine Plattenbausiedlung in einem Brennpunktviertel. Viele hier haben nach der Wende ihren Job verloren; Frust und Wut sind die vorherrschenden Gefühle. Da gibt es diejenigen, die an nichts mehr glauben, und diejenigen, die an das Falsche glauben. Dazwischen ist nicht viel. Groth trifft oft auf eine Mauer des Schweigens. Das Vertrauen in die Polizei ist nicht groß. Umso höher der Druck auf Groth, Ergebnisse zu liefern.
Susanne Tägder erzählt auch hier wieder in einem ruhigen Tempo. Detailliert beschreibt sie die tägliche mühsame Polizeiarbeit, ebenso die emotionale Belastung, die so ein Mordfall mit sich bringt.
Und mit Groth hat die Autorin einen besonderen Ermittler geschaffen. Einen, der nachdenklich und voller Selbstzweifel die Sache angeht und sich mehr von seinem Bauchgefühl leiten lässt. Und er ist ein Versehrter, wie viele der Figuren im Roman. Dazu passt auch, dass sich die Liebesbeziehung zu einer ehemaligen Schulkameradin nur langsam entwickelt. Groth ist ein Polizist, für den die betroffenen Menschen im Vordergrund stehen, nicht der Fall.
Auch die Nebenfiguren werden vielschichtig und mit viel Empathie gezeichnet. Da ist das Opfer Matti, ein schweigsamer Junge, über den seine überforderte Mutter und der arbeitslose Vater wenig wissen. Oder die Taxifahrerin Ina, die mit ihrem Sohn vor ihrem saufenden und prügelnden Ehemann geflüchtet ist und deshalb viel zu spät mit ihren Beobachtungen zur Polizei geht.
Oder Kollege Gerstacker, den man noch aus dem ersten Band kennt. Der ist mittlerweile wegen seiner früheren Stasi-Verbindung vom Dienst suspendiert, wird aber von Groth zu den Ermittlungen herangezogen, da er als Einziger mit dem alten Fall vertraut ist.
Obwohl der Grundton eher ruhig und melancholisch ist, entwickelt die Geschichte einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Die Farbe des Schattens ist ein atmosphärisch dichter und ungemein fesselnder Roman, der das Niveau des Vorgängers halten kann. Auch dieses Mal liefert die Autorin ein stimmiges Bild der Nachwendezeit. Ich freue mich schon auf weitere Bände mit dem sympathischen Ermittler.