Tore Renberg hat aus meiner Sicht einen ganz großen Roman geschrieben, der fast an Umberto Ecos "Name der Rose" heranreicht. Er schildert -wie Goethe im "Faust"- den Fall einer Kindsmörderin, allerdings -anders als Goethe- den einer vermeintlichen Kindsmörderin. Diese angebliche Kindsmörderin, Anna Voigt, wird nicht zum Tode verurteilt (und das weiß der Leser auch von Anfang an, also kein Spoiler). Aber der Weg vor der Freilassung, die Schmähungen, die Folter, das "Leben" im Kerker töten sie schon, als sie noch lebt. Renberg macht anschaulich das Nebeneinander, die Gleichzeitigkeit, von Aufklärung und von kirchlich legitimiertem Aberglauben deutlich. Auf der einen Seite steht der Arzt Johannes Schreyer, der mit der noch heute anerkannten und praktizierten Lungenschwimmprobe beweist, dass das KInd tot geboren wurde. Auf der anderen Seite steht der orthodox lutherische Pastor Johann Bededict Carpzov, der den Wert solcher naturwissenschaftlicher Beweise abstreitet. Auf der einen Seite steht auch der Rechtsgelehrte und Philosoph Christian Thomasius, der die Verteidigung der Angeklagten übernimmt. Auf der anderen Seite steht auch der Amtmann Abraham Walther, der, nicht zuletzt aus eigensüchtigen Motiven, die Verurteilung von Anna Voigt vorantreibt. Ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Roman eines norwegischen Autors über Deutschland im 17. Jahrhundert.