"Ich bin wie ein schlechter Abklatsch der Person, die ich einmal war. Beinahe bin ich einfach nur eine Büroarbeiterin unter vielen. Eine von Tausenden Frauen, denen man tagtäglich in der U-Bahn begegnet und deren Leben man sich immer leer und traurig vorstellt. Ein dauerhaft ausgelaugtes Wesen, das sich in der Erschöpfung eingerichtet hat, fad und langweilig, das seine sechs, acht oder zwölf U-Bahn-Stationen täglich als Fluchtoase nutzt, um sich in ein besseres Leben zu träumen oder sich in Bücher zu versenken, die von anderen, besseren Leben erzählen."
Geht so von Beatriz Serrano ist ein Debütroman, der schon durch das tolle Cover sofort ins Auge sticht, aber auch inhaltlich durchaus beachtenswert ist.
Die Protagonistin Marisa ist ein Nervenbündel. Sie hasst ihren Job in einer Madrider Werbeagentur, wo sie eher zufällig gelandet und dann längerfristig hängengeblieben ist. Sie hasst ihren Chef und ihre Kolleg*innen.
"Büro spielen ist easy, wenn man weiß, wie. Arbeit ist einfach nur eine Rolle, die man spielen muss. Ich beherrsche diese Rolle perfekt: Ich kenne witzige Geschichten, die immer funktionieren, um das Eis zu brechen. Ich weiß, was ich fragen muss, um aufmerksam und interessiert zu wirken. Und ich weiß, was ich sagen muss, da damit die Zeit schneller vergeht, ohne dass irgendjemand bis sechs Uhr abends tatsächlich irgendwas Sinnvolles tut."
Die Langeweile und Sinnlosigkeit der Arbeitsalltage erträgt sie nur gerade so, weil sie sich mit Binge-Watching von YouTube-Videos und Beruhigungsmitteln betäubt. Dass sie nebenbei so wenig wie möglich arbeitet, ist (für sie) eh klar:
"In den Jahren, die ich hier arbeite, habe ich die Kunst perfektioniert, so wenig wie möglich selbst zu erledigen. Im Büro herrschen dieselben Regeln wie auf der Jagd: Je schneller du dich bewegst, desto weniger wahrscheinlich wirst du abgeknallt."
Als das geplante Teambuilding-Wochenende der Firma nähter rückt, bekommt Marisa Panik:
"Die Vorstellung, ein ganzes Wochenende mit den Leuten aus meinem Büro zu verbringen, erscheint mir etwas so erstrebenswert, wie mir die Fußnägel mit einer Zange rauszureißen."
"Es ist mir völlig schleierhaft, warum meine Kollegen sich derart freuen - sofern diese Flut an Emojis und Ausrufezeichen denn tatsächlich Freude bedeutet und nicht, dass gerade jemand an der Tastatur einen Hirnschlag erleidet."
Ihr Plan, das Wochenende mit den Kollegen und den geplanten Aktivitäten mithilfe von Drogen zu übestehen, geht nicht so ganz auf ...
Die Geschichte kommt sehr bissig, witzig und oft bitterböse daher. Für mich war das durchaus passend, ja, die Scharfzüngigkeit des Textes gefiel mir richtig gut. Besonders im ersten Teil des Buchs fand ich das echt stark.
Meiner Meinung nach ist es unerheblich, ob man einer anderen Altersklasse angehört oder in einer anderen Branche arbeitet (wobei die Werbebrache clever gewählt war für den Roman) - man erkennt sich unweigerlich in vielem selbst wieder.
"Ich hasse die Dynamik der Meetings. Es gibt womöglich Leute, die sie genießen, weil sie im Grunde wissen, dass Meetings auch nur eine Methode sind, sich nicht vor den Rechner setzen und arbeiten zu müssen. Meiner Meinung nach nutzen andere die Meetings als Booster für ihren Selbstwert und um sich wichtig zu fühlen."
"Früher habe ich immer im Büro gegessen, bis ich kapierte, dass diese eine Stunde mit Menschen, mit denen mich nichts verbindet außer das Bewerbungsverfahren der Agentur, meinen inneren Akku bis auf fünf Prozent auslutscht."
"Urlaub ist wie so ein Pflaster auf eine Fleischwunde. Du gehst irgendwohin, wo du niemals leben wirst, erlaubst dir einen Lebensstil, den du dir eigentlich nicht leisten kannst, und danach musst du zurück und im Fernsehen reden sie vom 'Post-Urlaubssyndrom', dabei müssten sie eigentlich sagen: 'Dein Leben ist so schrecklich, dass du Depressionen kriegst, wenn du nach zwei Wochen Märchenland wieder zurück musst.'"
"Ich lache laut und fülle damit die Stille von ganz Madrid. Wahrscheinlich ist es das, was wir alle machen: auf WhatsApp unsere Hallowiegehts verschicken und hoffen, dass die anderen nicht merken, wie verzweifelt, einsam, leidend und traurig wir sind. Viele Ausrufezeichen tippen, damit man uns die Entmutigung nicht anmerkt."
Man könnte sich fragen, warum Marisa sich bei all dem Frust und der Langeweile nicht einfach einen anderen Job sucht - aber wer vielleicht selbst schonmal in so einem Hamsterrad gefangen war, weiß sicher selbst, wie das ist. Dass alles etwas übertrieben wird im Roman, ist stilistisch passend und sinnig.
Neben all dem bissigen Humor kommt jedoch auch die Kritik nicht zu kurz, die (leider) oft sehr realistisch ist:
"Meine Gesundheit war allen egal, es hat sie nur interessiert, wann ich wieder einsatzbereit sein und was in der Zwischenzeit alles liegen bleiben würde. Den Leuten auf der Arbeit ist es egal, ob du stirbst oder lebst. Würde ich morgen abkratzen, wäre in der Agentur die Hauptsache, wer sich dann um die Weihnachtskampagne kümmert. Wenn du erstmal kapiert hast, dass die meisten Menschen auf der Arbeit dich komplett entmenschlichen, wird es viel einfacher, sie auch zu entmenschlichen."
Im letzten Teil flacht das Buch leider ein klein wenig ab; besonders aus dem groß angekündigten Teambuilding-Wochenende hätte man evtl. noch etwas mehr rausholen können.
Wobei das Ende dann schon wieder grandios und urkomisch war mit dem Mailverkehr und dem folgenden Finale - und ich weiß nicht, wie man das Buch besser hätte enden lassen können.
Insgesamt hat mich das Buch wirklich positiv überrascht.
Von daher: 4,5 von mir mit einer Leseempfehlung und der Hoffnung, dass Beatriz Serrano noch weitere Romane schreiben wird.