Ein zur Aufarbeitung unglaublich wichtiges und wertvolles Buch!!!
Seit ich dieses Buch vorgestern beendet habe, ringe ich um Worte zum unausprechlichen Grauen, das sich mir hier in der Geschichte der Ursula Dorn offenbart hat. Und sollte ich hier doch halbwegs passende Worte finden, sehe ich mich in einem emotionalen Chaos und weiß, dass ich all die Worte und Gedanken, die mir spontan über die Lippen kommen würden, so nicht in einer Rezension schreiben kann. "Der Sieger schreibt die Geschichte" ist einer der Sätze, die ich am häufigsten zu hören bekomme, wenn ich über Themen wie dieses mit Anderen diskutiere und ich kann Euch sagen, dass mich nichts mehr ankotzt als dieser eine Satz.Das was Ursula und andere Kinder in Königsberg und auch in unzähligen anderen Orten zu Kriegsende erleben mussten, lässt sich kaum in Worte fassen und ich als Mutter von Kindern im ähnlichen Alter, habe das Buch öfter zur Seite legen müssen, um erst einmal wieder zu atmen. Es zerreißt einen als Elternteil, sich auch nur ansatzweise dieses Grauen an den eigenen Kindern vorzustellen, aber gerade das sollten all Jene tun, die weiterhin wegsehen wollen und das erfahrene Leid der Volksdeutschen relativieren oder generell abtun mit Aussagen wie "das war halt so"."Das Wolfsmädchen" war nicht das erste Buch, das ich zu den Wolfskindern gelesen haben, aber das, welches mich am meisten schockiert hat. Es ist etwas ganz anderes einfache Zeitzeugenberichte zu lesen oder ein Buch von Christian Hardinghaus, da es gerade die ergänzenden Hintergrundinformationen des Autors sind, die das vom Zeitzeugen Erlebte in Gänze verstehen machen und ich hoffe, dass er noch viele vergessene, verschwiegene und in der öffentlichen Wahrnehmung ungewollte Themen auf den Tisch bringt und all Jenen doch noch, wenn leider auch in den meisten Fällen nur noch posthum, eine Stimme gibt und so etwas wie späte Gerechtigkeit zuteilwerden lässt.Ich kann mir vermutlich nur ansatzweise vorstellen, wie all jene Kinder, die die Hölle ihrer Kindheit, die sie allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Deutschen erleiden mussten, überleben konnten. Wie viel Kraft, Mut und unbedingter Überlebenswillen waren nötig? Wie sehr haben sie unter ihren Erinnerungen in Form von Flashbacks leiden müssen, wurde doch die posttraumatische Belastungsstörung, obwohl als Granatenschock oder Kriegsneurose schon weit früher bekannt, erst in den 1980er Jahren zu einer formellen Diagnose. Kaum verwunderlich also, dass all den Betroffenen keine angemessene Therapie zuteilwurde, die ihnen bei ihren immer wieder erlebten Traumen hätten das Verarbeiten erleichtern können. Nein, es kommt noch schlimmer... nicht nur, dass ihnen keine Hilfe zuteilwurde, hat man ihnen auch noch, z.B in der DDR, verboten darüber zu reden. Was für eine Doppelmoral doch die deutsche Nation bis heute durchtränkt...Das Leid der Deutschen, ob nun Volksdeutsche oder damalige Reichsdeutsche, wurde jahrzehntelang verschwiegen, verdrängt und das Thematisieren desselben teilweise, wie im Fall der DDR, sogar verboten. Doch warum geht man davon aus, dass das Anerkennen dessen, was vielen Deutschen im Weltkrieg und nach dem Weltkrieg passierte, ein Herabsetzen der Gräuel, die von Deutschen begangen wurden, bedeutet? Kann man ein Leid gegen das andere aufwiegen? Geht es darum, wer mehr gelitten hat? Geht es heute noch um eine Schuldfrage? Ich weiß nicht, ob irgendein Land mehr Aufarbeitungsarbeit als Deutschland geleistet hat und dennoch sehen sich unsere Kinder in der vierten oder fünften Generation, fast 80 Jahre nach Kriegsende, noch immer mit einer Schuld konfrontiert, mit der sie als Nachgeborene doch nichts mehr zu tun haben, während sich die Nachkommen der Siegermächte nie mit den Gräueln auseinandersetzen mussten, die ihre Nationen an Anderen verübten. Wahren und dauerhaften Frieden kann es aber doch erst geben, wenn allumfassende Aufarbeitung geschieht und alles thematisiert wird, ungeachtet dessen, ob die Opfer zu den Siegern oder Verlierern zählten. Jeder hatte Schuld auf sich geladen und allen wurde Unrecht angetan- im Krieg gibt es nie Gewinner, nur Verlierer- das Erkennen dessen, wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Augen für das zu öffnen was war, könnte helfen, sie nicht vor dem zu verschließen, was heute wieder in der Ukraine oder auch an so vielen anderen Orten der Welt ist und sein wird, denn in der heutigen Zeit kann niemand mehr sagen, er hätte von nichts gewusst.Trotz all der himmelschreienden und unerträglichen Schilderungen in diesem Buch, gab es Dinge, die mich berührt und mir doch auch Hoffnung gegeben haben. Es hat mich ergriffen von der Hilfsbereitschaft der Litauer zu lesen, die eben das in den Wolfskindern sahen, was sie waren: kleine hilflose Wesen, von der Welt allein gelassen und dennoch von einer Stärke und einem Mut, die viele beschämen könnte und so zu Rettern unter eigener Lebensgefahr wurden. Ebenso bewegend war es vom russischen Soldaten zu lesen, der Ursula in den Zug nach Litauen half, was veranschaulicht, dass es überall Täter gab, aber auch überall Leute, die sich unter widrigsten Umständen ihr Menschsein bewahren konnten. Mein großer Dank für dieses unsagbar wichtige Buch geht an Ursula Dorn und all Jene, die uns, obwohl es bestimmt schwer und schmerzhaft war, an ihren Erlebnissen teilhaben ließen, aber auch an Christian Hardinghaus, der sich nie scheut, den Finger in Wunden zu legen und vielen einen Spiegel vorzuhalten, sowie dem EUROPA-Verlag, der wertvolle Bücher veröffentlicht, die nicht dem Mainstream entsprechen und aufrütteln. Ich werde dieses Buch bestimmt oft empfehlen und verschenken und wünsche, wie bei allen Büchern von Christian Hardinghaus, eine ganz große und vor allem aufgeschlossene Leserschaft!!!