Entweder will Kang hier zuviel, oder ich weiß zu wenig. Andere ihrer Romane finde ich deutlich stärker. 3,5 Sterne.
Das ist mittlerweile der fünfte Roman, den ich von Literaturnobelpreisträgerin Han Kang gelesen habe. Und so sehr ich ihre poetische Sprache - wieder kongenial übersetzt von Ki-Hyang Lee - auch hier liebe, so sehr mit die Grundkonstellation gefällt mit den zwei scheinbar recht alltäglichen Menschen, so muss ich doch sagen, dass ich es ihr schwächstes Buch bislang finde. Zwar zeigt Kang auch hier, dass hinter der Normalität so viel mehr liegt.Erzählt wird aus zwei Blickwinkeln: Eine Frau, die nach dem Verlust des Sorgerechts für ihren Sohn und dem Tod ihrer Mutter, nicht mehr spricht. Sie hofft, dass ihr das Erlernen des Altgriechischen ihre Stimme wiedergeben könnte. Im abendlichen Unterricht trifft sie auf den Lehrer, der kurz davor ist vollständig zu erblinden. Beide Blickwinkel laufen sehr lange parallel nebeneinander her. Es wird noch komplizierter, weil auch die Blickwinkel nicht konsistent aus einer Perspektive gehalten sind. Bei seiner Sicht folgen wir erst seiner Ich-Perspektive, die dann nahtlos in persönliche Briefe und Gedanken an verschiedene Personen übergeht. Nach gut Zweidrittel des Buches, wird er wie die Frau auch aus einer personalen oder gar auktorialen Erzählperspektive geschildert. Das changiert und Kang spielt damit. Das ergibt einen interessanten, manchmal aber auch verwirrenden Leseeindruck, der im Hörbuch zusätzlich verwirrte. So gut mir die ungekürzte Lesung von Rike Schmid und Kevin Kasperch gefällt, die den Protagoist*innen wirklich viel Tiefe verleihen, so sehr fehlten mir manchmal die Kapitelmarkierungen mit neuen Seiten oder Trennstrichen des Buches. So war ich froh, parallel im Buch einiges zur Orientierung nachlesen zu können. Beide Protagonist*innen blieben mir dazu recht fern, aber das intendiert Kang, glaube ich.Es geht um Sprache, Wahrnehmung und Philosophie. Die Reflexion über Übersetzungen und einzelne Worte fand ich ganz wundervoll. Der Mann bezieht sich einmal auf eine Widerlegung der Existenz Gottes von Epikur. Die konnte ich zuordnen, weil ich sie zufälligerweise in einem Sachbuch gelesen hatte. Ich hatte beim Lesen häufig das Gefühl, dass hier einiges angedeutet und Bezüge gesetzt werden, die ich gar nicht alle chiffrieren konnte. So wird immer wieder Borges erwähnt, aber ich wusste nicht genau, worauf das hinaus will. Der Mann hat eine ganz merkwürdige Haltung zu Frauen, die ich nicht per se als misogyn bezeichnen würde, aber es scheinen dann doch immer wieder so Ansätze dafür da zu sein. Auch der verlorene Sorgerechtsstreit scheint mir angesichts von Hangs Büchern wie "Die Vegetarierin" deutlich mehr sagen zu wollen, als ich tatsächlich daraus herauslese. Zwar würde ich mir nicht anmaßen, bei den anderen Büchern alles verstanden zu haben, aber die Leerstellen dort vergrößerten den Lesegenuss irgendwie zusätzlich, während mir bei den "Griechischstunden" zu viele Fragezeichen blieben.So sehr ich die Sprache genossen habe, so sehr blieb doch am Ende ein recht unbefriedigtes Gefühl zurück, vor allem, das das Ende nicht nur offen, sondern abrupt ist. Den beiden Protagonist*innen wird Erleichterung verwehrt. Ich schwanke zwischen 3 und 4 Sternen. Meine 3,5 von 5 Sternen runde ich dann aber doch auf, weil die Schönheit der Sprache und der Mut für diese ungewöhnliche Erzählform dann doch den Ausschlag gibt.