
Besprechung vom 09.07.2025
Ohne Anfang
Laura Fortis Roman "Mein Vater, vielleicht"
"Es kam so: Meine Mutter teilte mir wenige Monate vor ihrem Tod mit, ich sei nicht die Tochter des Mannes, der mich großgezogen hatte." Der erste Satz des Romans ist auch ein Schlusssatz, der die Vermutung, die die namenlose Ich-Erzählerin seit früher Jugend beschäftigt, beendet. Andeutungen hatte es immer wieder gegeben, unbeantwortete Fragen, Halbsätze, Scheingeständnisse, Zufallsauskünfte. Auch Indizien: das Bündel Briefe, das die Tochter, da war sie fünfundzwanzig, im Wäscheschrank entdeckte, dann die Überzeugung des Bruders, der ihr, da war sie schon dreiunddreißig, in aller Gemütsruhe enthüllte, dass die Mutter die Familie im Sommer 1965 einen Monat alleinließ, um in Umbrien ihre Nerven zu kurieren, und dort ihren gewalttätigen Ehemann mit ihrem ersten Freund betrog. Von der Tochter darauf angesprochen, wurde die Mutter zornig und schloss sich ein "in ihr gewohntes defensives Schweigen". Der Vater blieb allein in ihrem Besitz, die Erinnerung an ihn hat sie mit ins Grab genommen.
Laura Forti, geboren 1966 in Florenz, war 42 Jahre alt, als ihre Mutter starb - und "noch immer von ihr abhängig". So weit, dass sie loslassen und ihren offenkundig autobiographischen Roman schreiben konnte, war sie da noch lange nicht. Trauerarbeit, Depressionen, Medikamente, aber auch berufliche Erfolge und Reisen lagen dazwischen. "Mein Vater, vielleicht" beginnt damit, die - so der Titel des ersten Kapitels - "Verdrängung" zu erkennen und zu überwinden. Erst danach ist der Weg frei, das Schweigegesetz zu brechen und durch Schreiben "zurückzuholen, was mir gehörte". Der unbekannte Vater, dem sie vielleicht ein paarmal, ohne sich dessen bewusst zu sein, begegnet ist, wird als Figur erfunden, die in der Erzählung aufersteht: "Auch eine Art, in deiner Gesellschaft zu sein." Der Vater als literarisches Du.
Die Autorin hat umfassende Nachforschungen angestellt, Orte erkundet, Zeugen befragt, Tagebücher studiert, Akten eingesehen, Fotos gesichtet, à la recherche d'un père perdu. Die Herkunft der Eltern, Familienverhältnisse, Wohnungen, Bildungswege, Schicksalsschläge, Gewohnheiten - vieles wird aufgerollt. Als die Amerikaner 1943 Grosseto bombardieren, holt der (künftige Vielleicht-)Vater seine Eltern nach Scansano in der Maremma, wo er in der Mine von Baccinello als Buchhalter arbeitet; dort sucht nach dem 8. September, als die Deutschen Italien besetzen, auch die jüdische Familie der Mutter Zuflucht: ein Leben zwischen Versteck und Verfolgung, Partisanenaktion und erster Verliebtheit, als "schönes Paar" werden die beiden trotz der zehn Jahre Altersunterschied erinnert. Nach der Befreiung hat die Mutter neue Verehrer - einen amerikanischen Soldaten, den gut aussehenden Mauro und Ariè aus der Jüdischen Brigade, dem sie nach Palästina folgt, um nach sieben Monaten zurückzukehren und nicht die wartende Jugendliebe, sondern doch Mauro zu heiraten.
Im zweiten Kapitel ("Aufarbeitung") erzählt Laura Forti die komplizierte, abgründige Familiengeschichte farbig, indem sie sie mit der Zeitgeschichte verschränkt. Mosaiksteinchenreich puzzelt sie ein Detail ans nächste, neben dem Suchbild des Vaters entsteht ein Porträt der Mutter, doch nicht alles passt zusammen, Lücken lassen einen Rest Ungewissheit. Die diffuse, fortdauernde Wut der Mutter über ihre unglückliche Ehe nimmt die Tochter auf; auch sie hat unter der "Routine aus Betrug und Anklage", unter Härte und Gefühllosigkeit, Kränkungen und dem Anderssein gelitten. Das dritte Kapitel ("Wut") aber hält nicht, was "Aufarbeitung" verspricht: Der Rückblick auf das, worüber die Erzählerin so lange im Unklaren gelassen worden war, tendiert zum Erfahrungsbericht einer Mutter-Tochter-Beziehung, die mit Episoden und Erinnerungen wortreich unterlegt und erklärt wird.
"Ich bin eine Geschichte ohne Anfang." Diese Zwischenbilanz der Erzählerin gilt am Ende nicht mehr, und der Vielleicht-Vater, der bis dahin mit einem anonymen Du angesprochen wurde, erhält, es ist das letzte Wort des Romans, einen Namen: Ghigo. Was der Versuch, schreibend ihre Identität zu finden, der Autorin bedeutet, steht außer Frage - die literarische Umsetzung auf einem anderen Blatt. ANDREAS ROSSMANN
Laura Forti:
"Mein Vater,
vielleicht". Roman.
Aus dem Italienischen von Ruth Mader-Koltay. Nonsolo Verlag, Freiburg 2025. 186 S., br.
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