Ein Klassiker! Ein Wiener Stadt-Roman in 20 Episoden. Das Personal ein Panorama der Wiener Stadtgesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts. Leo Perutz hatte die Idee zum Roman schon 1915. Erschienen ist das Buch 1918.
Man folgt dem Protagonisten Stanislaus Demba zwischen neun und neun auf seinen Wegen im neunten und ersten Bezirk der Stadt. Sein Starrsinn führt ihn von einem absurden Missgeschick zum nächsten immer auf der Suche nach dem Geld, das er zu brauchen meint. Sein selbstgerechter Charakter erinnert ein bisschen an Schnitzlers "Leutnant Gustl". Der wandert allerdings eine Nacht lang durch den Prater.
Kurz nach neun betritt der Student eine Greislerei, um sich ein Butterbrot mit Extrawurst zu kaufen. Die Hände versteckt er unter seinem Mantel, den er wie einen Muff aufgewickelt hat. Warum er das tut, erfährt man erst im achten Kapitel (wenn man den Verlagstext nicht liest und sich die Spannung bewahren will). Demba benimmt sich so merkwürdig, dass er den beiden Frauen [im Laden] noch wochenlang reichlichen Gesprächsstoff bot". Was eigentlich erzähltechnisch unmöglich ist, aber das löst sich erst nach dem letzten Satz des Rätselromans auf. Der scheint auf den ersten Blick so gradlinig gebaut zu sein, bietet auf den zweiten Blick aber Überraschungen buchstäblich bis zur letzten Zeile. Der Autor treibt ein feines Spiel mit seinen Lesern, mal aus einer ironisch-allwissenden Erzählhaltung heraus, dann wieder im inneren Monolog seines eher unsympathischen Anti-Helden.
Demba will sein Brot dann auf einer Bank im Liechtensteinpark essen, was aber von Cyrus, dem Hunderl zweier Altorientalisten, die ihre Kenntnisse dort austauschen wollen, verhindert wird. Der Hund frisst dem hungrigen Studenten die Extrawurst weg, ohne dass der das verhindert.
"Es ist nicht bekannt, in welcher Sprache Hofrat Klementi sich für gewöhnlich mit seinem Hunde verständigte. Vielleicht hatte sich Cyrus in langjährigem Zusammenleben mit seinem Herrn einige Kenntnisse im Aramäischen oder Vulgärarabischen erworben. Deutsch schien er auf keinen Fall zu verstehen. Er wiederholte seinen Angriff auf die Wurst, und der Versuch des Hofrats, ihn an den Ohren zurückzuziehen, hatte nur die Wirkung, daß Cyrus böse wurde, knurrte und nach seines Herrn Hand schnappte.
Demba folgte mit ängstlicher Spannung jeder Bewegung des Hundes, rührte jedoch keine Hand, um ihn zu verjagen oder seine Wurst zu schützen."
Neben der Szene in der Greißlerei meine Lieblingsepisode!
Auf seiner grotesken Odyssee durch den Alsergrund, in die Innere Stadt und zurück bandelt er mit einem Kindermädchen an, sucht seine alte Geliebte im Büro auf, der er die Venedigreise mit dem neuen Liebhaber nicht gönnt, versucht sich mit allen Mitteln Geld zu verschaffen, damit statt des Neuen er selbst mit ihr die Reise antreten kann, versucht sich Geld von den wohlhabenden Eltern seiner Nachhilfeschüler zu borgen, bekommt Geld und verliert es wieder, ... bis zum dramatischen Finale. Es ist wieder fast neun Uhr ...
Herrlich! Lesen!