Das vieldiskutierte Buch zum Umgang mit den Rechten
Die Autoren haben mit ihren Thesen vielfältige Debatten ausgelöst - viel dringlicher noch stellt sich uns heute die Frage, wie wir mit Rechtspopulisten und der Neuen Rechten umgehen müssen. Das Taschenbuch bietet ein zusätzliches Vorwort, einen neuen Essay und zwei Interviews, welche die vielfach besprochenen Leitideen und die breite Rezeption des Bestsellers einordnen und erklären. Mit Rechten reden heißt nicht nur, mit Rechthabern streiten. Sondern auch mit Gegnern, die Rechte haben. Und mit Linken.
Demokratie ist kein Salon. Die Republik lebt vom Streit, von Rede und Gegenrede, nicht nur von Bekenntnissen und moralischer Zensur. Dieser Leitfaden zeigt, dass es in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Neuen Rechten um mehr geht als die Macht des besseren Arguments. Es geht vor allem um die Kunst, weniger schlecht zu streiten. Per Leo, Max Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn sagen nicht, wie man mit Rechten reden muss. Sie führen vor, warum, wie und und worüber sie selbst mit Rechten reden. Und sie denken über das Reden mit Rechten nach. Mal analytisch, mal literarisch. Teils logisch, teils mythologisch. Hier polemisch, dort selbstironisch.
Besprechung vom 19.03.2025
Sprachspiel, neue Runde
"Mit Rechten reden" und von Gewalt schweigen
Es muss in einer Demokratie eine Möglichkeit geben, rechts zu sein, ohne von Staat, Medien und Zivilgesellschaft als Feind bekämpft zu werden. Auch und gerade wer sich nicht als rechts versteht, ist gut beraten, daran mitzuwirken, diese Möglichkeit einzuräumen. Rechten als politischer Gegner und nicht als Feind gegenüberzutreten, verlangt jedoch, dass die Kräfte, die nicht rechts sein wollen, wissen, wofür sie selbst stehen, dass sie sich untereinander differenzieren und sich nicht ständig durch rechte Provokationen die Form der Auseinandersetzung aufzwingen lassen.
Das ist in groben Zügen das Argument des 2017 erschienenen Buches "Mit Rechten reden. Ein Leitfaden" von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn. Jetzt ist bei Klett-Cotta eine erweiterte Neuausgabe erschienen. Fast 60 der 256 Seiten bieten neues Material: ein ausführliches neues Vorwort, Zorns Essay "Zur Verschiebung des rechten Sprachspiels 2017-2024" und zwei nachgedruckte Interviews. Steinbeis war, soweit ersichtlich, nicht mehr beteiligt und hat das neue Vorwort nicht gezeichnet.
Was in "Mit Rechten reden" nur ganz am Rande vorkommt, ist rechte Gewalt. Rechte, die kriminell bis terroristisch organisiert Gewalt ausüben und den Staat zu unterminieren versuchen, müssen zwar auch nach Leo und Zorn als Feind betrachtet werden. Doch reicht es, heißt es ausdrücklich, wenn Verfassungsschutz und Antifa sich um sie kümmern.
Wenn man nun zum Beispiel in Thüringen lebt, hat man in den vergangenen Jahren das eine oder andere Gespräch darüber geführt, was denn im schlimmsten Fall geschehen könnte. Die Korrelation rechter Gewaltkriminalität mit politischen Erfolgen der AfD, aber auch etwa Maximilian Krahs Äußerungen dazu, private Waffenbesitzer mit hilfspolizeilichen Aufgaben betrauen zu wollen, lassen vermuten, dass dies eben nicht nur politisch-administrativ Unangenehmes bedeuten könnte. Die richtige und insbesondere Leo wichtige Feststellung, dass Deutschland sich nicht in einem Bürgerkrieg befinde (auch nicht in einem "molekularen", wie ihn die Rechten herbeischreiben wollen), geht also möglicherweise am Punkt vorbei. Dass es Politkitsch ist, ein zweites 1933 und eine zweite Schoa an die Wand zu malen, und dass mit einer siegreichen AfD nicht sofort das Vierte Reich kommt, heißt nicht, dass es nicht eine für heutige deutsche Verhältnisse unerhörte Zahl von Opfern staatlich protegierter und durch die Verflechtungen der Partei mit der extremistischen Szene beförderter Gewalt geben könnte.
Bei der Risikobewertung der AfD und ihres Umfelds gewichten die Autoren den Gewaltaspekt zu gering: Das schien mir schon 2017 die grundlegende Schwäche von "Mit Rechten reden", als ich das Buch für das Internetfeuilleton "54books" rezensierte. In den siebeneinhalb Jahren seit Erscheinen haben sich mehrere rechte Terrorakte ereignet, es gab etwa 40 Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund, und die rechte Straßengewalt, insbesondere in der ostdeutschen Provinz, hat stark zugenommen. Dies wird in den neu hinzugekommenen Texten punktuell angesprochen, aber eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage der Bewertung rechter Gewalt bleiben die Autoren nach wie vor schuldig. Wie Leo sich im Interview mit Benjamin Moldenhauer von 2019 zu diesem Thema windet, lohnt sich zu lesen. Immerhin äußert er, man dürfe "real existierende Extremfälle" wie Gewaltakte nicht "essentialistisch zum Kern" von Gruppen erklären. Als Beispiele von Gruppen nennt er Rechte, Asylbewerber und militante Linke in einem Atemzug, den Vergleich von Opferzahlen verbittet er sich.
Zorns Nachwort, das nochmals gut erläutert, wie "Rechte" für die Zwecke des Buches definiert sind, kann man ergänzend heranziehen: "Rechts" ist für die Verfasser eben vor allem ein strukturelles Merkmal eines Diskurses, den Rechte "Nicht-Rechten" aufzwingen wollen und dem "Nicht-Rechte" auf den Leim gehen, wenn sie sich auf rechte Existenzkampfrhetorik einlassen. Als konkrete Exponenten dieses "Sprachspiels" tauchen jedoch durchweg, wo nicht wie in weiten Teilen des Buches bloß fiktive Rechte auf fiktive Linke treffen, Akteure wie die AfD oder die bekannte Schnellroda-Connection auf, deren Berührungen mit gewalttätigen Milieus unbestreitbar sind. Die Autoren können sich also zuschreiben, sich mit einem konkreten politischen Phänomen zu beschäftigen, sich aber auch jederzeit darauf zurückziehen, dass die Akteure sie nur in der Rolle von Proponenten des "Sprachspiels" interessieren. Dies war schon 2017 eine fragwürdige Positionierung, und die Neuausgabe ändert nichts daran.
Ohnehin sind sich die Verfasser, auch wenn sie einräumen, dass sich die Fronten verschoben haben, sehr sicher, nach wie vor grundsätzlich die richtigen Antworten zu haben. Mindestens dreimal, im neuen Vorwort, im neuen Nachwort und im "Spiegel"-Interview von 2024, sagen sie deutlich, dass es uns heute besser ginge, hätten wir uns nur an ihre Ratschläge gehalten. Das sagt viel über ihr Selbstbewusstsein. Dass sie recht haben, darf man getrost bezweifeln. MATTHIAS WARKUS
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