Zurück nach Osten Ard ¿ und direkt ins Altersheim!
Tad Williams hat sich Zeit gelassen, um ins sagenumwobene Osten Ard zurückzukehren - ganze zwei Jahrzehnte sind in der Buchwelt seit "Der Engelsturm" vergangen. Leider merkt man das nicht nur an der Handlung, sondern vor allem an den Protagonisten. In "Die Hexenholzkrone 1" wirken Simon und Miriamel, einst jugendliche Helden, nun wie Figuren aus einer Seniorenresidenz: Jeder Gang wird von Knacken und Stöhnen begleitet, jedes Gespräch erinnert an eine Wartezimmerplauderei. Auf beinahe jeder Seite wird darauf hingewiesen, wie alt und gebrechlich sie sind - bis man als Leser eher an Altersheim denkt als an epische Fantasy.Williams scheint eine geradezu missionarische Leidenschaft dafür zu haben, seine Leser seitenweise in die Vergangenheit zu zerren - und zwar immer und immer wieder. Kaum ein Kapitel vergeht, ohne dass er mit schwelgerischen Rückblicken auf "Das Geheimnis der großen Schwerter" um sich wirft. Für Neuleser ist das vielleicht ein Segen: Sie können die alte Tetralogie getrost im Regal verstauben lassen und bekommen die Kurzfassung gleich mitgeliefert - in epischer Länge. Für alle anderen, die Osten Ard schon seit Jahrzehnten lieben, fühlt sich dieser Nostalgie-Marathon jedoch eher wie eine Strafarbeit an. Statt Spannung und frischen Ideen gibt es ein nicht enden wollendes Best-of der 90er-Jahre-Fantasy, aufgekocht und endlos durchgekaut. Man liest nicht so sehr einen neuen Roman, sondern eine 700-seitige Gedächtnisstütze, die einem mit Nachdruck klarmacht: Früher war alles besser - und darüber reden wir jetzt nochmal ganz, ganz ausführlich.Die Handlung selbst? Wenn man sie denn so nennen will, ist sie kaum der Rede wert - zumindest gefühlt. Statt einer epischen Fortsetzung bekommt man seitenweise Rückblicke auf alte Heldentaten, die sich lesen, als hätte Williams beschlossen, sein eigenes Werk für ein Publikum mit Gedächtnislücken nachzuerzählen. Die eigentliche Geschichte schleicht in einem Tempo voran, das selbst eine Schildkröte nervös auf die Uhr schauen ließe. Seite um Seite wartet man vergeblich darauf, dass endlich etwas passiert, während man durch endlose Dialoge, Erinnerungen und innere Monologe watet wie durch knietiefen Morast. Spannung baut sich nur zögerlich auf - und zwar so zögerlich, dass man irgendwann überlegt, ob man nicht einfach zum letzten Kapitel springt. Erst ganz zum Ende hin flackert ein winziger Funke Hoffnung auf, dass diese neue Osten-Ard-Saga vielleicht doch noch irgendwo ein Ziel hat. Bis dahin aber ist Durchhaltevermögen gefragt, am besten kombiniert mit einem literarischen Langstreckenläufer-Gen und einer großen Portion Koffein.Man könnte hoffen, dass neue Figuren wenigstens ein bisschen Schwung in diese literarische Schlaftablette bringen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Die neuen Protagonisten wirken größtenteils wie Karikaturen ihrer selbst: zu ausführlich beschrieben, zu dramatisch inszeniert und oft schlicht nervig. Statt die Handlung zu bereichern, scheinen sie vor allem dazu da zu sein, den ohnehin schon zähen Erzählfluss weiter auszubremsen. Anstatt interessante neue Perspektiven zu eröffnen, werden wir mit Charakteren konfrontiert, die so viele Seiten bekommen, dass man sich irgendwann fragt, ob sie jemals wirklich relevant sein werden - oder ob sie nur dazu dienen, Williams' Hang zu epischer Breite zu befriedigen. Dialoge ziehen sich wie alter Kaugummi, innere Monologe stapeln sich, und so ziemlich jede neue Figur wirkt wie ein weiteres Gewicht an den ohnehin schon schwerfälligen Erzählsträngen. Statt frischem Wind bringt dieses Figurenarsenal eher das Gefühl von stickiger Bibliotheksluft mit sich. Man hofft verzweifelt auf einen Lichtblick - einen Charakter, der spannend, vielschichtig und lebendig wirkt. Doch statt solcher Figuren bekommt man Charakterporträts, die so aufgebläht sind, dass sie die ohnehin kaum vorhandene Dynamik weiter erdrücken."Die Hexenholzkrone 1" möchte ganz offensichtlich an den Zauber der ursprünglichen Osten-Ard-Tetralogie anknüpfen - epische Schlachten, große Intrigen, Charaktere, die einem ans Herz wachsen und Abenteuer, die einen nicht loslassen. Auf dem Papier klingt das großartig. In der Praxis fühlt sich der Roman jedoch an wie eine viel zu lange Pflichtübung. Statt packender Handlung und politischer Ränkespiele erwartet den Leser ein überbordendes Detailgeflecht, in dem sich Williams mit beinahe liebevoller Akribie in Nebensächlichkeiten verliert. Jede Landschaftsbeschreibung, jeder innere Monolog und jede Rückblende scheint doppelt so viel Raum zu bekommen, wie es nötig wäre. Das Resultat ist weniger ein Fantasy-Epos und mehr eine literarische Geduldsprobe, bei der man sich fragt, ob Williams den Leser absichtlich auf die Probe stellen wollte.Fans, die nach "Der Engelsturm" sehnsüchtig auf eine würdige Fortsetzung gewartet haben, müssen starke Nerven mitbringen - und einen unerschütterlichen Glauben daran, dass die folgenden Bände doch noch Fahrt aufnehmen. Momentan wirkt Osten Ard wie ein Schatten seiner selbst: schön anzuschauen, aber ohne den Schwung und die Dringlichkeit, die das Original einst so legendär gemacht haben.