Wenn man sich für englische Geschichte interessiert, aber keine trockenen Sachbücher lesen möchte, sollte man zu den historischen Romanen der leider 2021 verstorbenen amerikanischen Autorin Sharon Penman greifen. Bekannt wurde sie mit ihrem Roman über Richard III. The Sunne in Splendor, in dem sie ein erfrischend anderes Narrativ dieses dämonisierten englischen Königs präsentiert. Gelesen habe ich es vor vielen Jahren im Original und konnte diese alternative Sichtweise, insbesondere was dessen Beteiligung an der Ermordung der Prinzen im Tower anging, absolut nachvollziehen.
Thronräuber ist Band 1 der im Original vierbändigen Reihe um die Anjou-Plantagenet Dynastie und behandelt den Zeitraum zwischen 1101 und 1142.
Henry I. hat zwar 23 Nachkommen gezeugt, von denen aber lediglich zwei legitime Erben des Throns sind, William und Maude. Erster kommt beim Untergang des Weißen Schiffs ums Leben, bleibt nur noch die Tochter als zukünftige Herrscherin übrig. Auf Anweisung ihres Vaters mit Geoffrey Plantagenet, Graf von Anjou, verheiratet, soll sie Henry I. nach seinem Tod am 1. Dezember 1135 nachfolgen, was allerdings innerhalb des Adelskreises keine Zustimmung findet.
Eine Frau auf dem Thron? Undenkbar. Also nutzt Stephen of Blois (Henrys Neffe und Enkel von William the Conquerer) die Gunst der Stunde zu seinem Vorteil, zieht mit seinem Tross gen England, verteilt großzügig Privilegien, sichert sich so die Unterstützung von Adel, Kirche und Volk und wird am 22. Dezember 1135 in Winchester zum König gekrönt. Aber ganz so kampflos wie erwartet gibt Maud den Anspruch auf den Thron nicht auf. Auch wenn die Vertreter des Adels und der Kirche kein Vertrauen in Maud und ihre Fähigkeiten haben, will sie doch das Geburtsrecht auf die Krone zumindest für ihre Nachkommen sichern. Wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Und so beginnt der Kampf um die Krone. Ein Bürgerkrieg, bekannt als The Anarchy, der fast zwei Jahrzehnte dauert und den Weg für die verschiedenen Thronfolger des Hauses Plantagenet ebnet, die immerhin bis 1485 (Tod Richard III.) herrschen werden.
Sharon Penman erzählt diese Geschichte in fast 800 Seiten und hält sich dabei eng an die historisch verbürgten Eckdaten. Dabei quält sie ihre Leser und Leserinnen aber nicht mit seitenlangen, nichtssagenden Beschreibungen, die eher den Lesefluss hemmen, als die Story zu illustrieren und deren Fortgang zu unterstützen, sondern erweckt die historischen Persönlichkeiten, die wir, wenn überhaupt, nur aus den Geschichtsbüchern kennen, samt ihrer Eigenheiten zum Leben. Sie verleiht ihnen Persönlichkeit, gibt ihnen Konturen, samt der Ecken und Kanten.
Natürlich wird bei der Personenkonstellation Maud versus Stephen auch das Frauenbild der damaligen Zeit genauer betrachtet. Und selbst wenn man es auf eine Adlige mit Anspruch auf den Thron einschränkt, zeigt es sich, dass diese ohne männliche Unterstützung und Allianzen quasi wertlos ist, Entscheidungen und Handeln, auch innerhalb ihrer Ehe, permanent auf dem Prüfstein stehen.
Der Stammbaum gleich zu Beginn ist hilfreich für die dynastische Einordnung der Personen, die Landkarte am Ende versorgt mit den geografischen Details. Außerdem gibt es für den besseren Überblick ein Verzeichnis der Dramatis Personae sowie ein Glossar ungebräuchlier Begriffe.
Ein großartiger historischer Roman ohne Zuckerguss und überflüssige Love Storys, auf dessen Fortsetzung Thronerbe (ET 05.11.2025 im Heyne Verlag) ich mich schon jetzt freue.