Vincent Summers weiß vielleicht noch nicht, was er studieren will, aber eines steht fest: Er wird groß rauskommen. Doch dann verschwindet seine Ma spurlos, und die einzige Person, die ihm bei der Suche helfen kann, ist Macey - seine ehemals beste Freundin, die jedoch lieber in ihre Schulbücher als ihm ins Gesicht sieht.
Macey Adenuga hat nur ein Ziel im Leben: ein Mathestudium in Cambridge, um ihre Eltern stolz zu machen. Als Vince sie nach jahrelanger Funkstille plötzlich um Hilfe bittet, kann Macey trotzdem nicht widerstehen - denn in den rätselhaften E-Mails, die Vince seit dem Verschwinden seiner Mutter erhält, scheint es auch um sie zu gehen . . .
*Klappenbroschur mit illustrierten Innenklappen*
Besprechung vom 27.01.2025
Der Prinz und die Kriegerin
Intensive Wurzelbehandlung, analog und digital: Der Debütroman von Amani Padda bündelt fast alle Themen der jungen Buchszene
"Wenn man das Kind von Einwanderern ist oder es als erste Person in der Familie auf eine gute Schule schafft, erwarten die Leute meist, dass man alles von Anfang an richtig macht", sagt Vincent vor der bräsigen Versammlung der weißen Alumni. Ein einziger Jugendlicher mit dunklerer Haut in einem Raum voller weißer Honoratioren, die gern für ihre Wohltaten gefeiert würden: Kruder könnte man den Kontrast nicht aufmachen, um den es in "Und dazwischen irgendwo wir" geht.
Glücklicherweise geht es nicht nur darum. Aber die beiden Hauptfiguren, Vincent und Macey, haben beide mächtig Leistungsdruck. Beinahe alles, was erzählt wird, hängt damit zusammen, dass sie es weit bringen wollen. Oder sollen.
Die Voraussetzungen allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein. Macey, mit Eltern, die wiederum aus unterschiedlichen Milieus der nigerianischen Einwanderer nach Großbritannien stammen, wird von ihnen nicht zum schulischen Erfolg gedrängt. Eher lässt man sie gewähren und versucht, liebevoll mehr Schlaf und Essen in die ehrgeizige junge Frau zu bekommen. Aber so ganz aus ihr selbst heraus kommt das gigantische Lernpensum auch nicht, mit dem Macey kurz vor dem Abitur auch noch den landesweiten Mathematikwettbewerb und das Stipendienprogramm für Cambridge schaffen will. Ihr Ziel: einmal Mathematikprofessorin zu werden.
Vincent, der Prince Charming der Hillburn Secondary School, weiß im Gegensatz zu ihr überhaupt nicht, was er werden will. Und obwohl er als Schulsprecher reüssiert, sind seine Noten allenfalls gut - nicht exzellent. Wie es seine Mutter will. Doch die ist seit Wochen verschwunden. Und Vincent, der früher Kierat hieß, bevor seine Mutter beschlossen hatte, ihn radikal in eine weiße Mehrheitsgesellschaft zu zwingen, ist plötzlich tatsächlich ein Märchenprinz. In einem digitalen Roman namens "The Warrior's Sun", der kapitelweise auf sein Smartphone gelangt. Vincent ist sich sicher: Die Geschichte, in der Prinz Kierat und die Kriegerin Maki nach einer Sonnenkönigin suchen, ist ein Hinweis auf seine verschwundene Mutter. Und Maki ist Macey, die ihm bei der Suche helfen muss.
Wie hoch ist der Erfolgsdruck auf Kinder und Jugendliche, deren Eltern eingewandert sind, und wie hängt das mit der Herkunftskultur zusammen? Es gibt Studien dazu, aber immer noch viel zu wenig Bewusstsein dafür, mit welcher Haltung und welchen Maßnahmen man besonderen Herausforderungen bestmöglich begegnen kann. Wären alle so wie die gemächliche Ms. Buchanan, die an der Hillburn Secondary als Sozialpädagogin irgendwie dafür sorgen soll, dass die Schüler gut durch die Mühlen einer fordernden Privatschule und das gnadenlos selektive britische Studien- und Berufswahlsystem kommen, die Welt sähe womöglich schon ein wenig heller aus.
Aus Deutschland, wo die wenigsten Schulen überhaupt über ausreichend sozialpsychologisch geschultes Personal verfügen, stammt der Debütroman, der die weiße Ms. Buchanan, ihren Süßholztee und ihre stets gefüllte Keksdose als Oase der Freundlichkeit erscheinen lässt. Aus gutem Grund. Auch im Genre der Young-Adult-Romane ist längst nicht alles weiß und pastellfarben, Diversität ist ein Thema. Allerdings meist in der genretypischen Schlichtheit, die sich auch in Fluten von Podcasts, Bookstagram- und Booktok-Beiträgen niederschlägt. Man bleibt auch da gern unter sich. Differenzierung ist in einem Geschäft, das von der Enthusiasmierung lebt, nicht angesagt.
Amani Padda, Jahrgang 1999 und im sächsischen Brandis aufgewachsen, macht die Sache etwas anders. Ihr Romandebüt verwebt geschickt die Ich-Perspektiven von Vincent und Macey, in alternierend erzählten Kapiteln. Sie kennt sich mit dem schottischen Schulsystem aus, weil sie dort Familie hat. Und bestimmt auch, weil sie, wie viele Leserinnen und Autorinnen der "Young Adult"-Literatur, viel im englischsprachigen Raum unterwegs ist, wo die Multikulturalität im einstigen kolonialen Imperium ganz anders gelebt wird als im Nachkriegseinwanderungsland Deutschland.
Padda hat sich an den Versuch gewagt, das alles zu verknüpfen - das digitale Märchen steht kursiv gedruckt vor jedem Kapitel über die beiden sozialen Aufsteiger, die sich mit Diskriminierung, Panikattacken, Überarbeitung, der Suche nach ihrer Identität im Dazwischen der Kulturen und, nicht zuletzt, dem Verlust beider Mütter herumschlagen müssen. In der "Hillburn-Gang" finden sie neu zusammen, auf der Suche nach dem unbekannten Autor.
Dass Padda mit Dani, dem weißen rich kid ohne Sorgen, einen Charakter mit einem gut verborgenen Zweitleben als Animé-Fangirl macht, versöhnt nicht nur etwas mit dem Schwarz-Weiß-Gemälde der guten und benachteiligten Transpersonen, queeren, asexuellen und meistenteils nichtweißen Heldinnen und Helden und ihrer feindlichen weißen privilegierten Umgebung, das der Roman entwirft. Dass Padda weiß, dass auch diese Sache weitaus komplexer ist, ungefähr so komplex wie "Wurzeln, die sich von Schottland und Deutschland bis nach Indien erstrecken", wie sie über ihre Herkunft im Klappentext wissen lässt, darf man ihr angesichts ihres Bemühens unterstellen; auch sprachlich und gestalterisch versucht sie durchaus, über die Stereotype hinauszugehen.
Obwohl auf den mehr als 400 Seiten von Amani Paddas Debütroman viel, sehr viel erzählt und noch mehr mit Zitaten aus Literatur und Popmusik angedeutet wird, bleiben doch etliche Lücken zu füllen. In den Vorgeschichten von Macey und Kierat, die als Kinder in einer Sozialwohnungssiedlung unzertrennlich waren und jahrelang ohne jeden Kontakt geblieben sind. Welche Wunden es da gegeben haben mag, wird nur angedeutet, und das aus gutem Grund.
"Young Adult" ist ein gigantischer Markt, und wer das allein auf die pastellfarbenen Buchmassen beschränkt, sieht nur die Spitze des Eisbergs. Insofern ist "Und dazwischen irgendwo wir" für nicht eingeweihte (erwachsene) Leserinnen und Leser auch ein Crashkurs in der Kultur digitaler Literaturliebe, der Fandoms und der Fanliteratur, die weiterspinnt, was Autorinnen und Autoren anlegen.
Das tun die Fans von "TWS", wie "The Warrior's Sun" im Netz abgekürzt wird, und machen die Jagd auf den anonymen Autor umso spannender. Und wenn Padda selbst ihren Roman auf Instagram "UDIW" labelt und die von ihr sehr gekonnt auch für die Titelgestaltung selbst gezeichneten Figuren weiter illustriert, ist das durchaus auch als Einladung zu verstehen. Der Erstausgabe hat der Verlag Arctis, das Jugendbuch-Imprint von Atrium, sogenannte Charakterkarten beigelegt, von Padda gestaltet. "Glück ist Hoffnung, die im Heute lebt", steht auf einem Bild. EVA-MARIA MAGEL
Amani Padda: "Und dazwischen irgendwo wir". Roman.
Arctis Verlag, Zürich 2024. 432 S., geb., 18,- Euro.
Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.