Inhalt:Kya wächst in den 1950er-Jahren unter schwierigen Lebensbedingungen in einer abgelegenen Hütte im Marschland an der Küste von North Carolina auf. Sie ist erst sechs Jahre alt als ihre verzweifelte Mutter ohne ein Wort die Familie verlässt. Schon bald kommt der folgenschwere Tag an dem auch Kyas geliebter Bruder Jodie fortgeht. Mit ihm verliert sie ihre letzte wirkliche Stütze. Fortan lebt Kya mit ihrem Vater allein, der seinen Kummer im Alkohol ertränkt und dessen Stimmungsschwankungen ihn schwer berechenbar machen. Eines Tages kehrt auch er nicht mehr zu ihr zurück. Kya ist nun ganz alleine, aber sie erhält Unterstützung von unerwarteter Seite: Der herzensgute Händler Jumpin' und der gleichaltrige Tate verhindern, dass die Einsamkeit sie überwältigt. Doch Kya stehen weitere Schwierigkeiten bevor. Ihr wird das Herz gebrochen und sie lässt eine weitere Person in ihr Leben - eine Entscheidung mit weitreichenden und dramatischen Folgen..."Völlig allein zu sein, war ein so ungeheuer gewaltiges Gefühl, dass es in ihr hallte." (S. 97)Für einen Moment sah sie über seine Schulter hinweg und dann in seine Augen. Ein Abgrund, den sie bis in die tiefsten Tiefen kannte. (S. 175)Meine Meinung:Es hat mich sehr überrascht wie sehr ich dieses Buch gemocht habe. Der Klapptext hört sich interessant an, aber wenn ich es nicht von meiner Schwester geschenkt bekommen hätte, hätte ich es wohl nicht gelesen und das wäre richtig schade gewesen. In kurzen Kapiteln werden abwechselnd Geschehnisse aus der Vergangenheit (beginnend im Jahre 1952) und aus der Gegenwart (im Jahre 1969) erzählt. Die Handlung entwickelt sich vergleichsweise langsam, da der Fokus auf Kyas Charakter und auf ihre Gefühls- und Gedankenwelt gelegt wird. Nach und nach beginnt man in der Vergangenheit auf Hinweise zu stoßen, die für die Gegenwart relevant sind - sowohl was die charakterliche und persönliche Entwicklung von Kya angeht als auch bezüglich ihrer Beziehung zum später unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Chase. Als das diesbezügliche Gerichtsverfahren die ausführliche Darlegung der Beweislage beginnen, bangt man sehr um dessen Ausgang.Kya habe ich unglaublich schnell ins Herz geschlossen. Sie ist eine tolle Protagonistin. Obwohl ihr Dramatisches widerfährt, sie Ausgrenzung erlebt, sie unter Einsamkeit leidet und ihr das Herz gebrochen wird, gibt sie nie auf, ist bereit zu kämpfen und geht tapfer ihren Weg. Deshalb überwiegen in der Geschichte trotz allem insgesamt die hoffnungsvollen und schönen Momente. Der langsame Spannungsaufbau hinsichtlich der Mordermittlungen hat mich nicht gestört. Ich habe Kya genug ins Herz geschlossen um schon allein deshalb weiterzulesen, weil ich erfahren wollte, ob das Leben für sie endlich auch Gutes bereithält. Man wünscht Kya so sehr, dass sie endlich jemanden findet, der sie nicht im Stich lässt wie all die anderen und der es wert ist, dass sie ihm vertraut. Man freut sich mit ihr als sie mit Tate zunächst kleine Fundstücke austauscht, sich daraus eine Freundschaft und später eine Liebe entwickelt. Auch Kyas Liebe zum Marschland und wie sie die Welt der Bücher für sich entdeckt wird toll beschrieben und macht sie sympatisch. Auch die Charakterisierung der Nebenfiguren überzeugt auf ganzer Linie. Da ist zunächst einmal Kyas Bruder Jodie, der schon früh Verantwortung übernehmen muss und der sich trotz schwieriger Lebensumstände zu einem empathischen Jungen entwickelt, der für Kya lange Zeit eine wichtige Stütze ist. Außerdem ist natürlich Jumpin' zu erwähnen, der ein wirklich großes Herz hat und der Kya zur Seite steht als dies sonst niemand tut. Schließlich ist natürlich auch noch Tate zu erwähnen, der mit seiner liebenswerten, hilfsbereiten, ruhigen und sensiblen Art schnell Sympathien weckt. Selbst in Zeiten in denen Kya ihn zurückstößt, hilft er ihr dennoch und gibt ihr einen entscheidenden Anstoß um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.Delia Owens gelingt es das Marschland mit seiner Tier- und Pflanzenwelt lebendig, atmosphärisch und anschaulich zu schildern, sodass man sich beim Lesen richtig dorthin versetzt fühlt. Das Marschland ist für die Geschichte von besonderer Bedeutung und mehr als bloß ein austauschbarer Handlungsort. Obwohl ich kein Freund von ausführlichen Naturbeschreibungen bin habe ich sie in diesem Buch gemocht, weil sie so passend und unaufdringlich in die eigentliche Geschichte eingewoben werden. Auch die schwierigen Lebensumstände und finanziellen Probleme mit denen viele Menschen zur damaligen Zeit zu kämpfen hatten, werden sehr eindrücklich beschrieben: Um Essen zu kaufen muss Kya jeden Cent zweimal umdrehen. Zudem hat sie kaum Besitztümer, was unter anderem daran deutlich wird, dass einer ihrer wertvollsten Schätze eine leere Flasche Nagellack ist, die sie an einen der wenigen wirklich glücklichen Tage ihrer Kindheit erinnert. Das Buch hat viele sehr bewegende und nachdenklich stimmende Momente, die einem in Erinnerung bleiben. Dazu zählen für mich beispielsweise Kyas vergebliche Versuche die Gesichter ihrer Mutter und ihrer Geschwister heraufzubeschwören. Die Vorstellung keine Fotos seiner Liebsten zu haben und festzustellen wie die Erinnerungen an sie unwiederbringlich verblassen, muss furchtbar sein. Ohne die Eintragungen in der Familienbibel hätte Kya zudem noch nicht einmal die vollständigen Namen ihrer Familienangehörigen gekannt, sondern nur deren Spitznamen. Auch die Vorstellung, dass Familienangehörige ohne eine Adresse oder Telefonnummer zu hinterlassen einfach mit unbekanntem Reiseziel aus dem eigenen Leben verschwinden, ist beklemmend. Selbst wenn man später Kontakt wünscht, hat man nahezu keine Chance sie jemals wiederzufinden und etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Es geht einem auch nahe zu erfahren wie unglückliche Lebensumstände dazu beigetragen haben, dass das Leben von Kyas Eltern Stück für Stück in die Brüche ging und irgendwann nichts mehr von den lebenslustigen Menschen übrig war, die sie einmal gewesen sind und wie sie all ihre Träume begraben mussten.Die Geschichte hält zum Ende hin Überraschendes bereit mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass sich die Geschehnisse anders entwickeln. Das Ende ist besonders und bleibt einem in Erinnerung. Es hat für mich einiges in ein etwas anders Licht gerückt. Es hat mir gefallen, dass nicht alles vorhersehbar war.Fazit:Dieses Buch erzählt eine besonders bewegende Geschichte, die man nicht so schnell vergisst. Für mich ist es eines der schönsten Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen habe.Zum Schluss noch das wunderschöne Gedicht, das die Autorin dieser besonderen Geschichte vorangestellt hat:Auf dichHätt ich dich nie geseh'nHätt ich dich nie gekannt.Ich hab dich geseh'nUnd dich gekanntUnd dich geliebtFür immer.