Buchvorstellung<br data-start="158" data-end="161">Elke Heidenreich, eine der bekanntesten Stimmen der deutschen Literatur und Medienlandschaft, widmet sich in ihrem schmalen, aber inhaltlich dichten Buch einem Thema, das uns alle betrifft, dem Älterwerden. In "Altern" nähert sie sich diesem universellen und doch so individuellen Prozess mit einem persönlichen Blick, klug und ohne sentimentale Rührseligkeit, zugleich ehrlich und lebensweise. Das Buch ist Teil der Reihe "Leben", in der Autorinnen und Autoren grundlegende Erfahrungen des Menschseins aus persönlicher Perspektive beleuchten. Heidenreich fragt sich, wie wir mit dem Altern umgehen können, ohne daran zu verzweifeln und was es bedeutet, ein erfülltes Leben zu führen, auch wenn die Jahre voranschreiten.Rezension<br data-start="896" data-end="899">Elke Heidenreich gelingt es, das Thema Altern nicht als Verlust zu zeichnen, sondern als Lebensabschnitt mit eigener Tiefe, Konsequenz und sogar Gelassenheit. Besonders eindrucksvoll ist, wie sie dabei immer wieder auf ihr eigenes Leben zurückblickt. Ihre Kindheit beschreibt sie als schwierig, geprägt von überforderten Eltern, schlagenden Lehrern und dem bleiernen Nachkriegsklima der fünfziger Jahre. Doch sie schildert auch, wie sie es schaffte, sich davon zu lösen, "den Sprung in das Leben" zu wagen, trotz aller Missverständnisse und Umwege.<br data-start="1447" data-end="1450">Wertvoll sind die Einblicke, die sie aus ihrem Tagebuch von 1963 gibt, das "voll Bitterkeit und Fragen" ist, durchzogen von Gedichten von Else Lasker Schüler oder Gottfried Benn. Diese Rückgriffe zeigen nicht nur ihre literarische Bildung, sondern auch, wie prägend Sprache für ihr Denken war und geblieben ist. Ich finde das beeindruckend.<br data-start="1790" data-end="1793">Im Heute angekommen, möchte sie "Zeuge der Welt" sein und nicht mehr "für alles zuständig". Diese Haltung verleiht dem Buch eine ruhige Kraft. Sie beschreibt das Loslassen, das Entrümpeln, auch ganz konkret. Etwa bei Gegenständen, an denen Erinnerungen hängen. Die Garderobe kann sie ohne Zögern ausmisten, aber das alte weiß blau karierte Badetuch, in das ihre Mutter sie einst als Baby wickelte, bleibt. Ihre Gedanken darüber, wie ihre Erben später über diese Dinge urteilen oder sie entsorgen werden, schwingen zwischen Wehmut und Witz.<br data-start="2332" data-end="2335">Besonders pointiert äußert sie sich über das moderne Schönheitsideal, das sie als "völlig verblödete Äußerlichkeiten" kritisiert. In diesem Zusammenhang kommt sie zwangsläufig auf Kim Kardashian zu sprechen und bezeichnet deren Wirkung als "eine einzige strohdumme Verblendung". Ihre Haltung ist eindeutig. Und doch stellt sich für mich die Frage, ob hinter einem solchen Imperium wirklich nur Glitzer, Schminke und Oberflächlichkeit stecken können. Millionen Menschen zu beeinflussen, erfordert mehr. Strategisches Geschick, Instinkt, vielleicht sogar eine Art von Intelligenz, die anders funktioniert, als wir sie erwarten. Genau hier entsteht ein spannender Kontrast zwischen Heidenreichs Beobachtung und einer möglichen Gegenperspektive.<br data-start="3076" data-end="3079">Sehr berührend sind auch die Verweise auf literarische Stimmen wie Simone de Beauvoir oder Marguerite Duras. In einem starken Moment zitiert sie Martin Walser, der schreibt: "Wenn du kein Virtuose im Vergessen bist, verblutest du auf der Intensivstation Erinnerung." Solche Sätze verweben das Persönliche mit dem Allgemeingültigen. Genau darin liegt aus meiner Sicht die Kraft dieses Buches.<br data-start="3470" data-end="3473">Mit ihrem trockenen Humor erzählt sie schließlich von Frau Einstein, die ihrem Mann großzügig den Freiraum für eine Freundin ließ und währenddessen selbst in die Stadt ging, um Besorgungen zu machen. Als Heidenreich ihn "den relativen Ehemann" nennt, blitzt der Wortwitz so leise wie treffsicher auf. Genau diese Mischung aus Schärfe und Leichtigkeit bleibt einem lange im Kopf.Fazit<br data-start="3862" data-end="3865">Mit jedem Kapitel entsteht das Gefühl, jemandes Gedanken zu folgen, der nichts beschönigen muss und dennoch Wärme in jedes Thema bringt. "Altern" ist kein Ratgeber, kein Lamento, sondern ein Blick auf das Leben mit all seinen Narben, Erkenntnissen und Momenten der Klarheit. Es zeigt, dass das Älterwerden nicht nur Verzicht bedeutet, sondern auch Freiheit, Übersicht und sogar Leichtigkeit bringen kann. Die Gedanken sind messerscharf, die Anekdoten mal zart, mal bissig, immer menschlich. Wer dieses Buch liest, wird vielleicht nicht jünger, aber garantiert heller im Kopf und weicher im Urteil. Ein stilles, aber starkes Plädoyer dafür, das Leben mit wachen Augen und wachem Herzen zu betrachten und zwar bis zum Schluss.