Ich bin ganz ehrlich: Mit poetischen Werken habe ich es nicht so und wenn ich das irgendwo als Beschreibung lese, mache ich normalerweise einen Bogen um das dazugehörige Buch. Doch "Perlen" setzt Poesie nur so wohldosiert und passend als Stilmittel ein, dass es mich nicht nur erreicht, sondern emotional tief bewegt hat. Und als Person, die mit Lyrik wirklich gar nichts anfangen kann, muss ich sagen, dass mir die einleitenden Gedichte richtig gut gefallen haben.
Die Mutter der 8-jährigen Marianne geht eines Tages aus der Tür und kehrt nicht zurück. Vielleicht schon zu Beginn, mindestens aber im weiteren Verlauf wird subtil recht klar, was passiert ist. Doch es geht nicht um die Tat selbst, nicht um die Gründe. Es geht um vererbte Trauer, neu hinzugekommene Trauer sowie die Suche nach einem Umgang mit dem, was unbegreiflich und damit unüberwindbar scheint.
Der Titel und auch die Covergestaltung sind einfach ausgezeichnet gewählt. Denn Siân Hughes reiht Erinnerungen aneinander wie Perlen auf eine Kette. Manche Erinnerungen sind echt, manche nicht, und so richtig wissen wir es beim Lesen auch nicht, denn Erinnerung und Fiktion verschmelzen immer wieder miteinander. Die Kapitel sind kurz und das fand ich ebenso eine außerordentlich gute Wahl. Denn obwohl die Handlung insgesamt zusammenhängt, lassen sich die kompakten "Perlen" leicht mit Pausen lesen.
Und Pausen sind manchmal auch wirklich angebracht - zum Verarbeiten und Durchatmen, zum Fühlen und Reflektieren. Das Werk ist nicht immer ganz zugänglich, die Sprache mit Bildern und Assoziationen versetzt, aber ich habe es überraschend gern gelesen und konnte die von Trauer und auch Ärger begleitete Liebe zwischen den Zeilen regelrecht greifen.
Ein echtes, raues Werk mit einigen schmerzhaften Themen, dem es dank leichter Schnörkel gelingt, sie erträglich zu machen. Besagte Schnörkel und Assoziationen machen den Text aber nicht unnatürlich und überladen poetisch, sondern einfach schön. Ich empfehle dieses ruhige und tiefgängige Stück Literatur von Herzen gern - eine begabte Autorin, die in ihrem Debütroman Lyrik mit zart-ernster Prosa vereint, und ein poetisches Werk für alle, die keine poetischen Werke mögen.
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TW: Selbstverletzung, Suizid, Depression, Essstörung