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Besprechung vom 02.09.2025
Wenn die Staatsräson schwimmt
Waffenlieferungen an Israel waren in Deutschland stets ein heikles Thema. Werner Sonne zeichnet die Rüstungskooperation der beiden Staaten nach.
Deutsche Waffen für Israel? Diese Frage ist so alt wie der israelische Staat selbst. Aber anders, als man vielleicht vermuten würde angesichts der aktuellen Debatte in Deutschland bezüglich der Entscheidung der Bundesregierung, bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern zu genehmigen, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten. Die ersten Waffen deutscher Technologie, die Israel nach seiner Staatsgründung 1948 zur Abwehr der darauffolgenden panarabischen Invasion einführte und direkt einsetzte, kamen nicht aus Deutschland, geschweige denn aus der damals noch nicht existierenden Bundesrepublik, sondern aus der Tschechoslowakei.
Es ging hierbei um Waffentechnologie der Wehrmacht aus tschechoslowakischer Produktion sowohl der Kriegszeit wie auch der unmittelbaren Nachkriegszeit. Es handelte sich insbesondere um Tausende Maschinengewehre vom Typ MG-34 - unter anderem das Standardmaschinengewehr der deutschen Panzer im Zweiten Weltkrieg - und 25 Kampfflugzeuge vom Typ Avia S-199, der tschechoslowakischen Version der Messerschmitt Bf 109 - des Standardjagdflugzeugs der deutschen Luftwaffe während des Zweiten Weltkriegs, bekannt nicht zuletzt durch seinen Einsatz in der Luftschlacht um England.
Nun bildete dieser Jäger den Kern der 1948 neugegründeten Luftwaffe Israels. Zu ihren ersten Jagdfliegern gehörte auch der spätere israelische Präsident Ezer Weizman. Die Finanzierung der tschechoslowakischen Waffenlieferungen lief über Spenden, die von Israels späterer Ministerpräsidentin Golda Meir in den Vereinigten Staaten gesammelt wurden. Nach dem Urteil des israelischen Historikers Benny Morris ermöglichten diese Waffen seinen Landsleuten, die palästinensischen arabischen Milizen auszuschalten, in die Offensive zu gehen, die Invasion der arabischen Armeen abzuwehren und schließlich den ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 zu gewinnen.
Wie stark dieser militärische Überlebenskampf von Beginn an auch die Beziehungen zwischen Israel und der ein Jahr später gegründeten Bundesrepublik prägen sollte, kann man bei Werner Sonne nachlesen. Der langjährige ARD-Korrespondent und Autor mehrerer Bücher über Israel und Deutschland zeichnet in seinem jüngsten Buch die Geschichte dieser besonderen Beziehung detailliert nach. Großen Raum nimmt dabei die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik ein.
Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel ließ Berlin auf Bitte von Jerusalem Waffen und Munition liefern, die typisch sind für den Kampf in bebautem beziehungsweise um bebautes Gelände in Ortschaften und Städten: Hunderttausende Schuss für Maschinengewehre und andere Schusswaffen, Treibladungen und Zünder, Tausende tragbare Panzerabwehrwaffen, Zehntausende Granaten für schwere Artillerie und den israelischen Kampfpanzer Merkava. Hinzu kamen Tausende Schutzhelme und zwei Drohnen, die von der Bundeswehr in Israel geleast worden und vor Ort einsatzbereit waren. Darüber hinaus stellte das Deutsche Rote Kreuz Blutplasma für schwer verwundete Soldaten bereit. Sonne betont, dass alle diese Lieferungen von Israel bezahlt wurden - es sei nicht geschenkt gewesen. Er zitiert die damalige Bundesregierung, die öffentlich machte, dass sie im Jahr 2023 zehnmal so viele Rüstungslieferungen wie im Vorjahr für Israel genehmigt habe.
Diese Lieferungen haben eine lange Tradition. Sie reicht zurück bis zum ersten Kanzler der Bundesrepublik und bis zum ersten Ministerpräsidenten Israels. Bereits unter Konrad Adenauer und David Ben-Gurion wurde aus Beständen der jungen und sich selbst noch im Aufbau befindlichen Bundeswehr 1957 schweres Gerät an Israel abgegeben: amerikanische Hubschrauber, französische Transportmaschinen und Düsentrainer. Sonne zitiert aus den Erinnerungen von Franz Josef Strauß, der als Verteidigungsminister den finanziellen Umfang dieser ersten Lieferung mit 300 Millionen Mark bezifferte, für damalige Verhältnisse eine enorme Summe, "ohne Bezahlung dafür zu verlangen".
Schon damals ging es auch um U-Boote einer Konstruktion aus der Bundesrepublik, die in flachen Gewässern operieren können und sich daher für Israels Bedürfnisse besonders eignen. Zunächst wurden zwei nach deutschen Plänen bei einer britischen Werft gebaut und von Bonn bezahlt. Sonne lässt dies Ben-Gurion mit den Worten kommentieren, man sei dabei, "gewisse Ausrüstungen von diesem Land zu erwerben, die nur in diesem Land erworben werden können - und dass dies für unsere Sicherheit lebenswichtig ist".
Nach der Beschreibung von Sonne handelte es sich um leistungsfähige, kleine, 49 Meter lange U-Boote der Gal-Klasse mit nur 23 Mann Besatzung, die unter anderem an zahlreichen, zumeist geheimen Missionen im Antiterrorkampf etwa im Libanonkrieg 1982 teilgenommen hätten. Die israelischen U-Boot-Fahrer seien zuvor bei der Bundesmarine ausgebildet worden.
In den Achtzigerjahren kam dann ein Gedanke in Israel auf, der das militärische Gleichgewicht im Nahen und Mittleren Osten auch nach Einschätzung von Sonne entscheidend verändern sollte: U-Boote als Plattform für atomare Trägerwaffen. Hier seien dann wieder die erfahrenen deutschen U-Boot-Bauer - dieses Mal in der Ära von Bundeskanzler Helmut Kohl - ins Spiel gekommen. Sonne führt dabei den rüstungspolitischen Dreisatz der deutsch-israelischen Beziehungen vor Augen: "Die Israelis hatten die Idee, sie machten die Vorgaben, und die deutschen Ingenieure setzten sie um - das U-Boot der Dolphin-Klasse war geboren."
Drei dieser Boote wurden zwischen März 1999 und Juli 2000 in Betrieb genommen. Die ersten beiden wurden von Deutschland finanziert - beim dritten teilten sich Berlin und Jerusalem die Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro pro Boot. Sonne bringt auf den Punkt, wie Israel mit den dieses Mal in Deutschland gebauten U-Booten die entscheidende Voraussetzung für eine atomare Zweitschlagskapazität erhielt: Sie seien auf der Werft von Thyssenkrupp in Kiel mit sechs Torpedorohren der üblichen Weite von 533 Millimetern ausgestattet worden, jedoch auch mit vier größeren Rohren mit 650 Millimetern. Auf diese Rohre habe sich dann die Aufmerksamkeit der Fachwelt gerichtet - sie würden als Abschussvorrichtungen für Marschflugkörper mit Atomsprengköpfen gelten.
Sonne ergänzt, dass drei weitere U-Boote von Israel bestellt und dann von 2005 an ausgeliefert wurden. Es handelte sich dabei um eine Weiterentwicklung der Dolphin-Klasse - angetrieben mit Brennstoffzellen auf Wasserstoffbasis, dadurch unabhängig von Außenluft und wochenlang tauchfähig bis auf eine Tiefe von über 200 Metern, folglich kaum mehr zu orten. Diese neuen Boote sollten die größten sein, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf einer deutschen Werft gebaut wurden. Gerhard Schröder hatte am letzten Tag seiner zweiten Amtszeit als Kanzler den Vertrag unterzeichnet, mit Zustimmung seiner designierten Nachfolgerin Angela Merkel und des außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Wolfgang Schäuble. Dieses Mal sollte die Bundesregierung ein Drittel der Baukosten übernehmen - die weiterentwickelten Dolphins kosteten 550 Millionen Euro pro Stück.
Weitere U-Boote sind inzwischen bestellt. Es handelt sich dabei um eine vollkommen neue Generation, wie sie Sonne treffend charakterisiert: "noch größer, noch leistungsfähiger, noch eindeutiger als Trägerwaffe für die nukleare Abschreckung bestimmt". Und noch teurer: drei Milliarden Euro für drei Boote. Ein Drittel der Kosten übernimmt erneut die Bundesrepublik. Die Auslieferung soll 2029 beginnen.
Die Dakar-Klasse wird mit einer Länge von achtzig Metern nicht nur die größten jemals in Deutschland gebauten U-Boote umfassen. Sie soll auch über vertikale Abschussrohre für Raketen größerer Reichweite verfügen. Damit wird Israels atomare Abschreckungsfähigkeit von schätzungsweise neunzig Sprengköpfen auch in den Augen von Sonne noch einmal deutlich gesteigert.
Schon Hans-Dietrich Genscher erfand für die U-Boot-Lieferungen die Formel: "Alles, was schwimmt, das geht." Die Begründung des Außenministers: Israel könne es nicht im Inneren einsetzen. In dieser Tradition scheint auch der Bau von vier Korvetten - ebenfalls durch Thyssenkrupp - für die israelische Marine zu stehen. Allerdings wurde über ihre Einsätze auch im jüngsten Gazakrieg bereits mehrfach berichtet. Sonne weist darauf hin, dass das vierte Schiff mitten in diesem Krieg - am 12. Dezember 2023 - in Dienst gestellt wurde. Es trage den bezeichnenden Namen "Nitzahon" - "Sieg". Auch hier habe die Bundesregierung ein knappes Drittel der Kosten übernommen. Deutsche Waffen für Israel? Diese Frage dürfte so alt werden wie die deutsch-israelischen Beziehungen selbst. THOMAS SPECKMANN
Werner Sonne: Israel und wir. Geschichte einer besonderen Beziehung.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 212 S.
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