"Doch sie überraschte mich, indem sie einen Teil der Geschichte preisgab, den ich noch nicht kannte - den Teil, den meine Mutter mir zehn Jahre verschwiegen hatte". Und nicht nur das wird es sein, was Olivia überaus überraschen wird im Lauf der Ereignisse. Schmerzlich, aber auch gefährlich überraschen wird. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, jenen Ort zu meiden? Damit wäre sie auf keinen Fall alleine gewesen, und manchmal hat die Masse doch auch recht. Denn die übliche Geschichte, dass Lori Knight in jenem Feriencamp voller Jugendlicher vor Jahren einfach durchgedreht ist und nach ihrem eigenen Ehemann noch zwei andere Personen getötet hat. Ein verwunschener Ort, seitdem, der aber auch schon vorher seine ganz eigenen "Geistergeschichten" kannte. Doch Olivia kann nicht anders. Eds geht nicht um ihre Mutter, es geht um ihren Vater, den sie sucht. Und sie ist nicht die einzige Person, die in dem einsamen, atmosphärisch bedrohlichen Camp nach Spuren sucht. Und da beide "Suchende" nicht lange ungestört bleiben, sondern sich Gefahren auftun, dem Tod nur knapp von der Klinge gesprungen wird, ist beim Lesen schnell klar, dass die einfache Erklärung jener Morde damals vielleicht schnell und bequem zur Hand war, aber wohl nicht der Wahrheit entspricht. Denn auf dem Gelände des Camps und im Wald um das Camp herum werden die selbsternannten Hobby-Ermittler und ihre Freunde nicht wenige Leichen noch finden. Wobei dennoch lange Zeit nicht klar sein wird, wer von den verschiedenen mittel- bis hochverdächtigen Personen drumherum der wahre Täter oder die wahre Täterin oder die Tätergruppe vielleicht gar sein könnte. Das Ganze ist sprachlich recht schlicht erzählt, dafür aber mit Tempo und einigen Szenen, die in die Nähe des Horror-Genres geraten, also schlichtweg tatsächlich die Angst beim Lesen spürbar in den Raum setzt. Nicht nur, weil, das Morden nach so langen Jahren scheinbar nahtlos wieder aufgenommen wird, auch die bildkräftige Schilderung von Orten, Dunkelheiten und Rascheln im Unterholz halten Leser und Leserinnen durchaus in Atem. Was auch damit verbunden ist, dass der Thriller (vielleicht schon auf eine Verfilmung schielend?) in klaren Szenen untergliedert ist, die rasch aufeinander folgen (wie ein auf schnelle Schnitte setzender Film, der einen Ereignispunkt an den nächsten setzt, ohne allzu sehr ruhige Pausen zu gönnen). Dass dabei die Figuren nicht unbedingt tiefenpsychologisch differenziert ausführlich nahegebracht werden, ist in diesem Fall kein Manko, sondern dient dem rasanten Tempo und der emotionalen Dichte der Ereignisse selbst. Hier werden Protagonisten nicht verbal breit vorgestellt, sondern die Persönlichkeiten werden durch ihr Handeln fassbar und erhalten "Fleisch an den Knochen". "Trau niemandem", das ist das Motto dieses Thrillers, der eine hohe Taktzahl vorgibt und durchhält. Mit wenigen Längen (Romantik muss anscheinend sein, auch wenn sie nicht sonderlich ins Geschehen passt). Eine rasante Lektüre.