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Besprechung vom 18.01.2022
Der Rasen, auf dem alles begann
Das Buch "Fußballheimat Hessen" versammelt besondere Sportplätze, Stadien und Orte mit Fußballgeschichte.
Groundhopper sind Fußballfans, die Punkte für Stadionbesuche bei Spielen in aller Welt sammeln. Sie sorgen meist für Aufsehen, wenn es mal wieder einer geschafft hat, auch im entlegensten Land dieser Erde ein Fußballstadion und ein dazugehöriges Spiel zu besuchen. Die Spezies der gleichermaßen fanatischen wie reiselustigen Fußballfans richtet ihren Blick freilich nicht nur ins ferne Ausland. Auch im eigenen Land selbst üben die Sportplätze genug Faszination aus, um zum Besuch von Spielen in Kreisklassen oder Bezirksoberligen zu motivieren.
Jonas Schulte, Journalist beim Hessischen Rundfunk, hat in seinem Buch "Fußballheimat Hessen" für solche Stadion- und Sportplatzästheten schöne Orte und ganz eigene Ansichten gesammelt. Ob das Stadion Schloßblick in Braunfels, das nicht nur wegen der 300 Originalsitzschalen aus dem alten Waldstadion einen Ausflug wert ist, ein Bolzplatz in Gießen, Bernd Hölzenbeins Stammsportplatz in Runkel-Dehrn im Westerwald oder das Dyckerhoff-Sportfeld des FV 02 Biebrich, auf dem die Karriere der anderen Eintracht-Legende Jürgen Grabowski Fahrt aufnahm: All diese an sich tiefklassigen Plätze umweht ein Hauch Fußballgeschichte. Mit dem Blick fürs Detail hat der Autor auch Besonderheiten aufgetrieben wie drei "Inseln der Glückseligen": Auf einer Werra-Insel beispielsweise wird der Ball so oft im Fluss wie im gegnerischen Netz versenkt.
Schulte erzählt aber auch Geschichten wie jene vom vergeblichen Werben des SC Opel Rüsselsheim um den Autobauer seiner Stadt. Die Fußballer gaben sich einst den Namen des stadtprägenden Unternehmens, Opel aber wehrte die später auch durch die Vereinsfarben Schwarz und Gelb bekräftigten Liebesbemühungen stets ab und wurde nie zum erhofften Großsponsor - da musste schon Bayern München kommen.
Einige Stadien wie auch das von Kastel 06 im rechts des Rheins gelegenen Mainzer Stadtteil erzählen die im Amateurfußball vor allem während der Achtziger- und Neunzigerjahre zu Stein gewordenen Geschichten des Größenwahns von Mäzenen, die ihr Ego mit einem Aufstieg in den Profifußball befriedigen wollten. Meist sind diese Sportstätten vom Hauch des Verfalls umweht. Moos und Sträucher haben Besitz ergriffen von Tribünen, die nicht mehr Tausenden, sondern oft nur noch Dutzenden Fans Platz bieten müssen.
An manchen der 100 Orte ist freilich noch nie ein Ball gerollt: Schulte blickt auf Gebäude mit Eintracht-Bezug und besucht die heutigen Besitzer jenes Hauses, in dessen Garten Horst Canellas 1971 bei einer von ihm initiierten Gartenparty mit dem Abspielen von Tonbandaufzeichnungen den Bundesligaskandal um verschobene Spiele und bestochene Spieler losgetreten hatte. Auch deshalb ist dem Autor ein schöner Mix gelungen aus Nostalgie, Fußballgeschichte und purer Fußballplatzästhetik, der, wenn auch nicht gleich zu Wochenendausflügen, dann aber zumindest zum Zwischenstopp verführen sollte, wenn man gerade durch einen Ort mit einem der Fußballplätze fährt. Vielleicht tritt auch zufälligerweise der eigene Verein mal zu einem Auswärtsspiel in einem der Schmuckkästchen an.
Und richtigen Groundhoppern bleibt ein Trost: Der Zauber des Entdeckens ist mit diesem Buch noch lange nicht erloschen. Selbst 100 Orte genügen nämlich nicht, um alle Sportstätten abzudecken, die zu faszinieren vermögen. Für jene, die ihren eigenen Lieblingsplatz ergänzen wollen, hat der Verlag am Ende dankenswerterweise ein Kapitel freigelassen.
Jonas Schulte: "Fußballheimat Hessen - 100 Orte der Erinnerung". Arete Verlag, Hildesheim 2021, 216 Seiten, 100 Farbfotos
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