Mein Lese-Eindruck:
Macfarlanes Bücher bieten immer einen gewaltigen Denkanstoß, die gewohnte Welt um einen herum anders zu betrachten. Ich habe Berge im Kopf, Alte Wege und Im Unterland von ihm gelesen, und jedes Mal hat sich meine Sichtweise geändert. Das bisher scheinbar Vertraute erhält eine Eigenbedeutung, die über die gewohnte Betrachtung hinausgeht. Natur ist für Macfarlane vom Wesen her mehr als eine Staffage des menschlichen Lebens, und ihre Bedeutung erschöpft sich nicht im Gesehen-Werden. Auch in seinem neuen Buch legt Macfarlane seine Gedanken dar mit dem Ziel, dass der Leser sein Verhältnis zur Natur überdenkt.
Die Ausgangsfrage ist provokant: Ist ein Fluss ein Lebewesen? Und hat er daher seine eigenen Rechte? Tatsächlich erkennen einige Staaten wie z. B. Neuseeland und Ecuador einigen Flüssen in ihrer Verfassung die Qualität eines juristischen Subjekts zu.
Damit ändert sich das Verhältnis des Menschen zum Fluss grundsätzlich. Der Fluss ist nun nicht mehr nur ein Wasserlauf, der unter dem Aspekt der Bewirtschaftung missbraucht werden darf. Jeder Wasserlauf hat komplexe soziale und metaphysische Bedeutungen, und jeder Wasserlauf ist ein lebendiges Wesen. Daher sieht Macfarlane eine große Verantwortung des Menschen, für diesen Mitbewohner unserer gemeinsamen Erde Sorge zu tragen.
Macfarlane bereist verschiedene Flüsse auf verschiedenen Kontinenten: den bedrohten Zedernfluss im Nebelwald Ecuadors, dann die bereits toten Flüsse von Chennai in Indien und einen lebenden Fluss in Kanada. Immer spürt er ihrer jeweiligen Besonderheit nach. Dabei schildert er auch die indigenen Auffassungen, die unserem westlichen Nützlichkeitsdenken entgegenstehen. Hier verliert sich der Autor gelegentlich in eigenen esoterischen Sichtweisen, denen ich nicht immer folgen konnte.
Seine Reisebeschreibungen sind spannend zu lesen, v. a. die Beschreibung der überaus abenteuerlichen Fahrt auf dem Mutehekau Shipu, dem ersten als lebendes Wesen anerkannten Fluss Kanadas. Macfarlane erzählt so bildstark und packend von der Fahrt über rasante und gefährliche Stromschnellen, dass man ihm es einerseits natürlich gönnt, die Reise heil überstanden zu haben, aber andererseits das Ende dieser Reisebeschreibung bedauert.
Macfarlanes Erzählweise muss man mögen. Er erzählt nicht immer linear, sondern schweift ab. Jede seiner Abschweifungen aber enthält faszinierende Gedanken aus der Philosophie, den Naturwissenschaften und der Literatur, die den Blick des Lesers erweitern und ihm die Schönheiten der Natur auf tiefere Weise zugänglich machen.
Fazit: Spannend, vielfältig, gedankenreich!
4,5 /5*