Interessante Fortsetzung, aber viel zu zäh und langsam erzählt
Genau wie in Band 1 ist die Welt von Gabriel de Leon und seinen Verbündeten von Gewalt, Schmerz und Verzweiflung geprägt. Es gibt ab und zu kleine, zarte Hoffnungsmomente, die uns nur wenige Kapitel später wieder schmerzlich entrissen werden. Der Untertitel "A Tale of Pain and Hope" passt also wie die Faust aufs Auge. Auch der Titel selbst, Das Reich der Verdammten, findet seine Berechtigung, denn Gabriel muss anscheinend immer wieder aufs Neue lernen, dass die Herrschaft eben nicht mehr bei den Menschen liegt, sondern dass die Verdammten und Vampire das Sagen und damit einen gewaltigen Machtvorteil haben. Diors Entwicklung hat mir gut gefallen. Sie wächst oft über sich selbst hinaus, übernimmt Verantwortung und hilft, wo sie nur kann. Gabriel wird mir dagegen immer unsympathischer, und ich bin fast überzeugt, dass der Autor genau das erreichen wollte. Phoebe mausert sich zu einer Favoritin und überraschend steigt auch die Person, die im Klappentext Liathe genannt wird, in meiner Achtung. Und sogar der Chronist, der diese ganze Geschichte in Form einer Rahmenerzählung niederschreibt und einhakt, wenn sein Interviewpartner zu sehr abschweift oder Details auslässt, wird in diesem zweiten Band der Trilogie zu einer interessanten Figur, dessen Rolle mich mehr und mehr interessiert. Jay Kristoff ist gut darin, Sympathien zu Personen aufzubauen, die dann kurz darauf niedergemetzelt werden, oder Hoffnung zu erzeugen, damit der niederschmetternde Verlust nur noch furchtbarer erscheint. Verrat wird in dieser Geschichte spärlich, aber umso herzzerreißender eingesetzt. Vor diesem Autor und seinem handwerklichen Geschick muss man daher wirklich den Hut ziehen. Aber wie auch schon im ersten Teil hat es meine Lesefreude enorm beeinträchtigt, wie lang Das Reich der Verdammten wurde (und dass, obwohl ich eigentlich sehr gern sehr lange Bücher lese). Ich habe nicht nur das Buch gelesen, sondern zwischenzeitlich sogar das Hörbuch (mit erhöhter Geschwindigkeit) gehört, um möglichst viel Zeit auch unterwegs oder bei Tätigkeiten, die nur meine Hände, nicht aber meinen Kopf erforderten, mit dieser Geschichte zu verbringen und endlich in der Handlung voranzukommen. Ich kann, ebenfalls wie in meiner Rezension zum ersten Band, nicht einmal über Leerlauf klagen, der durch die schiere Länge des Buches entstanden wäre, denn es passiert ja immer etwas. Bis auf einige Szenen voller Begehren und Körperlichkeit, die man sich auch hätte sparen oder deren Anzahl man zumindest hätte reduzieren können, gab es nichts, was ich wirklich überflüssig fand. Und trotzdem ist diese Geschichte viel zu oft zäh und langsam, weshalb ich selten mehr als nur ein paar Kapitel am Stück lesen konnte, ohne die Lust zu verlieren. Rückblickend habe ich vor dem Schreiben dieses Beitrags versucht aufzuzählen, welche wichtigen Etappen Gabriel, Dior und ihre wechselnden Gefährten in diesem Band geschafft haben - und es fiel mir schwer, mich an alle zu erinnern, so sehr gingen sie unter in dem immer gleichen Gemetzel, in Schlachten, vulgären Ausschweifungen und alkoholisierten Gewaltfantasien des arroganten Erzählers. Ja, das entspricht dem Charakter des Antihelden, unserer Hauptfigur. Ja, es gehört auch generell irgendwie zu Kristoffs Büchern. Aber es hat mich noch nie so sehr genervt wie hier. Die Szenen, die mir am besten gefallen haben, die mir am lebendigsten in Erinnerungen geblieben sind, waren diejenigen, in denen die Handlung überraschte, zum Beispiel durch die Offenbarung eines furchtbaren Verrats oder die Erkenntnis, einen grauenhaften Fehler begangen zu haben. Viel häufiger kam diese angenehme Überraschung aber durch kurzweilige Unterbrechungen des altbekannten Musters: Momente des Vertrauens, das Entdecken fremder Kulturen, die Erkenntnis von unerwarteten Verbündeten, das Aufdecken eines neuen Geheimnisses. Natürlich gibt es auch hier wieder einen fiesen Cliffhanger, weshalb ich neugierig bin, was nun wirklich die Wahrheit ist, wer auf wessen Seite steht, welche Geheimnisse und Intrigen noch unaufgedeckt geblieben sind. Aber ich fürchte, mit dieser Fortsetzung hat Kristoff meinen persönlichen Geduldsfaden etwas überspannt. Vielleicht wird es mir reichen, eine Zusammenfassung von Band 3 oder die Rezensionen anderer Lesenden zu verfolgen, um mit dieser Trilogie abzuschließen. Ob ich zum Erscheinen des finalen Bandes noch einmal 1000 Seiten voller Gewalt und Düsternis lesen möchte, nur um mich an immer weniger Lichtblick-Momenten entlang zum Ende zu hangeln, bezweifle ich.