tolle Grundidee, bleibt leider weit hinter den gegebenen Möglichkeiten zurück
Wenn der Gast sich nicht ankündigt und trotzdem bleibt, was dann? Linus Geschkes "Die Verborgenen" lockte mich gerade mit einem solchen Thema: dem Phänomen der "Phrogger". Dies stellt den Begriff für Menschen dar, die heimlich und meist unbemerkt in fremden Häusern leben. Gruselig? Absolut... Guter Thrillerstoff? Eigentlich ja...Kommen wir aber zuerst einmal zum Inhalt: Sven und Franziska Hoffmann haben alles, wovon sie einst träumten: eine wunderbare Tochter und ein traumhaftes Haus an der Küste. Alles könnte perfekt sein. Doch dann dringt jemand heimlich in ihr Haus ein. Der ungebetene Gast bedient sich an ihrem Essen, stöbert in ihren Schränken und steht neben ihren Betten, wenn sie schlafen. Als dann noch Gegenstände verschwinden und fremde Fußspuren im Keller auftauchen, bezichtigen sich die Eheleute gegenseitig. Je merkwürdiger die Vorgänge in ihrem Haus werden, desto mehr bröckelt die makellose Fassade der perfekten Familie. Und genau das ist es, was der Eindringling will...Beginnen wir also mit dem Positiven: Die verschiedenen Erzählperspektiven haben durchaus ihren Reiz und der Schreibstil ist zudem recht solide gehalten. Ich persönlich habe mir die Geschichte einfach mal in drei Erzählstränge unterteilt - das Leben eines Phroggers (aus der Du-Perspektive), die Eheprobleme einer gutbürgerlichen Durchschnittsfamilie und eine nicht ganz überzeugende Girlie-Gang rund um Tochter Tabea. Die "Du"-Kapitel, in denen man dem Eindringling mitunter durch das Haus folgt, wecken zunächst eine gewisse Unruhe, vor allem wenn da nachts jemand neben dem Bett steht! Das hat mir wirklich gut gefallen. Leider bleibt es meist bei diesem "könnte gruselig sein"-Feeling. Ich hätte mir tatsächlich deutlich mehr Spannung gewünscht und genau dieses Thema hätte dahingehend doch so viel mehr hergegeben. Man nehme beispielsweise psychologischen Horror, subtile Manipulation, schleichendes Unwohlsein usw...Die Charaktere - sowohl im Hoffmannschen Haushalt als auch der Rest - sind zudem leider nicht gerade facettenreich. Vieles dümpelt an der Oberfläche herum und die Konflikte wirken meist aufgesetzt oder sogar absehbar. Ein weiterer Kritikpunkt für mich ist die Vorhersehbarkeit. Viele Entwicklungen erkennt man schon Kapitel im Voraus, was besonders bei einem Thriller nicht gerade von Vorteil ist. So bleibt die tolle Grundidee in Form eines unsichtbaren Mitbewohners für mich leider weit hinter den gegebenen Möglichkeiten zurück. Das Ende hat mich ebenfalls enttäuscht zurückgelassen. Die große Enthüllung, die Erklärung des Motivs, flattert eher leise aus dem Lüftungsschacht, als dass sie mit einem Knall durch die Tür gestürmt kommt. Warum der Phrogger tut, was er tut, ist für mich ein äußerst schwacher Grund. Die Nebenhandlung mit Tabea und ihren Freunden fühlt sich zudem eher wie Füllmaterial an und hat einfach nicht zu dem ganzen Rest gepasst. Schade, denn hier hätte man psychologisch tiefer graben oder die Handlung geschickter verweben können."Die Verborgenen" hätte somit ein wirklich atmosphärischer und spannender Thriller sein können. Stattdessen bekommt man eine Mischung aus Familiendrama, Teenie-Soap und einem Grusel-Ansatz, der sich nie ganz traut, wirklich unheimlich zu sein. Wer also die angepriesene nervenzerreißende Spannung sucht, sollte lieber unter dem Bett nachsehen, da findet man sie vielleicht noch eher...