Um aus der Krise zu finden, bricht Martin Zinggl ins Unbekannte auf: zu Fuß entlang des Sultans Trails. Wien-Istanbul, acht Länder, 2. 400 Kilometer, unzählige Grenzen, sichtbare und unsichtbare. Mit Zeit und Neugier im Gepäck erlebt er auf alten Pfaden neue Geschichten. Der Balkan empfängt ihn mit Gastfreundschaft und Misstrauen. Dorfbewohner beherbergen ihn, Straßenhunde jagen ihn, Flüchtlinge im Wald warnen ihn: falsche Richtung, Freund! Jeder Tag ein Kampf: mit der Natur, den Beinen, den Gedanken. Jede Grenze eine Prüfung, jede Begegnung eine Lektion. Und irgendwann, zwischen Schmerzen und Erkenntnissen, ist er weiter, als er je dachte. Mit Tempo und Tiefgang erzählt Zinggl vom Gehen, Staunen und der Fremde.
»Wer eine ähnliche ausschreitende Selbsterfahrung plant, sollte das Buch als Vorbereitung lesen wer nie auch nur auf solche Ideen käme, wird sich am Pool chillend erst recht darüber amüsieren können. «
DATUM, Anatol Vitouch
»Der Zinggl schmorte im Unglück. Und wanderte los. Und das Glück kam zurück. Am Ende kam das zweite Glück: darüber schreiben. Auch das kann der Kerl. «
Andreas Altmann
»Die Magie und die Mühsal des ungeschützten Unterwegsseins erzählt von einem, der die Ferne sucht, weil er hofft, dass sie ihn rettet. «
Wolfgang Büscher
»Martin Zinggls boots are made for reading! Ein grossartiger Text über eine Wanderung, gegen die sich der Jakobsweg wie ein Weg zum Supermarkt an der Ecke anfühlt. «
Dirk Stermann
»Lassen Sie sich auf diese Reise mitnehmen. «
Nina Brnada
Besprechung vom 03.08.2025
NEUE BÜCHER
Als Bruce Chatwin bei seinem Arbeitgeber Sotheby's zu viel Kunst angeschaut hatte, entzündeten sich seine Augen. Sein Arzt habe ihm daraufhin weite Horizonte empfohlen, schrieb Chatwin. Kurz danach telegrafierte er der "Sunday Times": "Bin nach Patagonien gefahren." So jedenfalls will es die Legende vom bald schon unermüdlich Reisenden, selbst gestrickt vom Autor.
Martin Zinggl wiederum, viel gereister Reporter und Ethnologe, erleidet eine Gesichtslähmung, gefolgt von einer Sinnkrise. Ein Neurologe rät ihm, er solle einfach mal gar nichts tun. Der Wiener macht das Gegenteil: Er geht los, folgt dem gut 2300 Kilometer langen Sultans Trail von Wien nach Istanbul. Er geht also den umgekehrten Weg von Süleyman dem Prächtigen, als dieser vor 500 Jahren Wien erobern wollte.
Man wandert und leidet mit Zinggl, und dank seines Galgenhumors angesichts von Gelsen (österreichisch für Moskitos), Hitze, Regen, rasenden Hunden oder gelegentlich sehr langweiligen Landstraßen gibt es in "Das ist kein Spaziergang" auch immer mal wieder etwas zu lachen.
Er trifft festsitzende Einheimische, eine zugereiste Kolonie von Querdenkern, großzügige Menschen in Serbien und zugeknöpfte in Ungarn. Er kehrt in Gaststätten ein, in denen nur die sitzen, die da schon immer sitzen. Für den Vegetarier ist Osteuropa eine Herausforderung, zum Glück findet er aber überall "picksüße" Süßspeisen.
Seine lakonischen Ortsbeschreibungen leiten den Leser von der schönsten über die älteste (Plovdiv) und schließlich in die größte Stadt Europas. Er beschreibt nicht jeden einzelnen Tag, vermeidet so Redundanz, man ahnt, wie langweilig es auch oft gewesen sein muss.
Politisches spart er nicht aus. Ist doch sein Weg nicht nur der umgekehrte Pfad des Sultans, sondern auch der berüchtigten Balkanroute. Die Flüchtenden, die er trifft, so Zinggl, suchten nicht nach dem Sinn des Lebens, sondern nach einer lebenswerten Existenz.
Er spürt den Wunden des Jugoslawienkriegs nach, ihn beschäftigt das auseinanderdriftende Europa, dessen Ostränder er durchstreift, durch Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Griechenland und die Türkei. "Der Balkan ist immer der Andere", zitiert er den slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, und so warnen ihn unterwegs immer wieder Menschen vor denen des Nachbarlandes. Alle fragt er, was die Menschen entlang der Strecke verbinde, die Antworten reichen von "nichts" bis "alles".
Bei 40 Grad Hitze in Plovdiv hat er nur noch ein Drittel des Weges vor sich - die Länge des Jakobswegs. Der Pilgerroute Richtung Westen wollte er auf keinen Fall folgen. Das Reizvolle am Sultans Trail sei, dass er sich auf einem nicht ausgetretenen Pfad bewege. "Hier bin ich nicht einer von Abertausenden Spinnern, hier bin ich der Spinner." Nicht jede Grenze überschreitet er legal, man fiebert mit ihm mit. Ganz großes Kino ist schließlich der Grenzübertritt bei Edirne in die Türkei - der zu Fuß nicht erlaubt ist. Eigentlich.
Die Tages-Etappen werden länger, aus dem zunächst raunzigen Wiener wird ein gelassenerer Fußreisender. Auch wenn er oft hadert, er habe sich den Sultansweg anders vorgestellt und wollte doch "in Kornfeldern liegen, einen Grashalm zwischen den Zähnen, Brombeeren klauen, Sternennächte unter freiem Himmel beobachten. Philosophische Gespräche über den Sinn des Lebens führen, erleuchtet werden, inneren Frieden finden und nebenbei genesen".
Mit sich selbst zurechtzukommen, ist das der Sinn einer Weitwanderung - und vielleicht des Lebens? Fragt Zinggl. Aber dann sagt einer in der Türkei anlässlich seines einsamen Wanderns, das Wichtigste im Leben seien doch Freunde. Worauf er seinen besten Freund anruft und der überraschend zu ihm stößt.
Am Ende, vor der Süleymaniye-Moschee in Istanbul, erfasst ihn wie jeden Weitwanderer am Ziel, eine leise Wehmut. Aber es klingt so, als habe das Wichtigste vermocht, nämlich "die Affen im Hirnkäfig besänftigen". Barbara Schaefer
Martin Zinggl: Das ist kein Spaziergang. Knesebeck Verlag 2025. 288 Seiten, 53 Abbildungen
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