Bereits im Prolog löst Eine von uns eine Gänsehaut bei mir aus. Saras Erlebnisse, die sie mir selbst schildert, sind beklemmend und verstörend. Der düstere Einstieg stimmt mich auf einen fesselnden Thriller ein, der dann doch ruhiger startet als erwartet.
Ich lerne Gina kennen. Sie ist eine junge Mutter und überfordert. Kein Wunder, denn durch ein Feuer hat Ginas Familie ihr Zuhause verloren. In diesem ganzen Chaos bekommt Gina das Angebot ihrer alten Freundin Annie vorübergehend deren Haus nutzen zu können, da sie selbst in den nächsten Monaten auf Reisen sein möchte, um Energie zu tanken.
Noch nicht mal vierundzwanzig Stunden nach dem Umzug an die schöne Südküste steht plötzlich eine unbekannte Frau vor der Tür. Mary. Direkt begegnen Gina und ich ihr mit Misstrauen, denn Marys forsche Art wirkt für eine Haushälterin schon fast übergriffig.
Eine von uns wird multiperspektivisch erzählt, was zum einen anspruchsvoll ist, gleichzeitig aber auch für eine stetige Spannung sorgt. Die Kapitel wechseln zwischen Gina und Mary in der Gegenwart und Damals. Während die Gegenwart aus der Ich-Perspektive von Gina und Mary beleuchtet wird, übernimmt bei Damals der personale Erzähler das Ruder. Hier lerne ich die GALS kennen, eine Mädchenclique, die sich aus Gina, Annie, Laura und Sara zusammensetzt.
Durch die unterschiedlichen Zeitstränge werden Informationen nur langsam preisgegeben, jedoch erschließt sich mir nicht immer sofort der Zusammenhang. Das lädt mich zum Spekulieren ein, wobei ich ziemlich oft richtig liege.
Samantha Hayes hat einen sehr emotional aufgeladenen und atmosphärischen Schreibstil. Sie passt ihren Erzählton den Charakteren an. Ginas Kapitel sind von einem alltäglichen und warmen mütterlichen Tonfall geprägt, während Marys Sprache kühl und funktional ist. Der Kontrast ist gut ausgearbeitet, denn bei Mary stellen sich mir unwillkürlich die Nackenhaare hoch. Sie zeigt leichte psychopathische Tendenzen und ich traue ihr prinzipiell alles zu.
Dagegen wirkt der Vergangenheitsstrang durch den personalen Blick distanziert und erklärend.
Diese Mischung sorgt mit den geschickt gesetzten Cliffhangern an den Kapitelenden für eine gute Grundspannung. Über allem schwebt die unheilvolle Frage, was damals mit Sara passiert ist.
Ein Nachteil dieses Erzählmixes ist allerdings, dass ich mehr als Gina weiß und mir damit so manches im Vorfeld schon folgerichtig zusammenreimen kann. Umso mehr ärgert es mich, dass Gina trotz ihrer beginnenden Zweifel so völlig naiv handelt.
Die Charaktere in Eine von uns sind vielschichtig aufgebaut. Bei Sara wird deutlich, dass sie nicht nur ein Opfer ist, sondern dass sie als schweigsamste und ruhigste der GALS dunkle Geheimnisse hütet. Das macht sie besonders interessant und mit ihr habe ich das meiste Mitleid.
Gina ist mir von allen am sympathischsten, was aber auch an ihrer Rolle als Protagonistin zuzuschreiben ist.
Annie bleibt lange Zeit ein bisschen nebulös, sie wird von Gina als charismatische und kreativer Kopf der GALS dargestellt. Sie ist auch die Einzige, die es zu Ruhm geschafft hat.
Laura bleibt ebenfalls ein bisschen blass, sie wirkt eher wie eine Statistin und das, obwohl sie später auch physisch eine Rolle spielt.
Als perfekter Kontrast fungiert Mary, die auf mich wie eine klassische Antagonistin wirkt. Ihre scheinbare äußerliche Harmlosigkeit steht im Gegensatz zu ihrer inneren Dunkelheit, ihren nicht näher beleuchteten finsteren Plan und ihrer eiskalten Berechnung.
Ergänzt wird das Kollektiv noch von Ginas Ehemann Matt, der jedoch ebenso wie ein paar wenige weitere Nebenfiguren mehr im Hintergrund eine Rolle spielt und dafür sorgt, dass Eine von uns vielschichtig und realistisch ist.
Ich empfinde Eine von uns als ein solider Thriller, der mich gut unterhalten kann und mich mithilfe Ginas steigendem Unbehagen enger an die Geschichte bindet. Auch möchte ich wissen, was mit Sara damals geschah und wie die heutigen Ereignisse damit zusammenhängen. Als Gina jedoch auf eine sehr offensichtliche Finte hereinfällt, kann ich mir ein Augenrollen nicht verkneifen. Es stimmt mich traurig, dass Eine von uns derart vorhersehbar ist und dann auch noch mit dem unglaubwürdigen Verhalten einer Mutter glänzt.
Doch Samantha Hayes hat dabei mir eine perfekte Falle gestellt. Denn mit einmal kommt ein Plot Twist auf mich zu, der mir die Schuhe auszieht. Ab da hänge ich gebannt an den Zeilen und bin einfach nur fassungslos. Eine überraschende Wendung jagt die nächste und während sich langsam das düstere Puzzle zu einem grauenvollen Bild zusammensetzt, hänge ich schon längst im Netz aus Lügen, Intrigen, Loyalität und Freundschaft.
Das Finale gleicht einem Sturm und der Epilog lässt mich völlig sprachlos und geplättet zurück.
Fazit:
Lasst euch nicht von diesem Spannungsthriller in die Irreführen. Mit seinen verschiedenen Erzählebenen baut sich eine Geschichte auf, die auf Misstrauen, Täuschung und gefährlichen Geheimnissen basiert, nur um dann in einer atemlosen Wendung zu gipfeln, die alle Erwartungen sprengt. Wie subtil dunkle Abgründe sein können, wird hier so herausragend ausgearbeitet, dass es mich sprachlos macht.