In diesem Fall erzählt das Haus die Geschichte von der Schülerin Nele und der alten Dame, Irma. Sie begegnen sich im Treppenhaus. Irma wohnt schon ewig in dem Haus, schon zu Zeiten, als die Sternheims mit ihrer Tochter Ruth dort wohnten, bis die Nazis sie vertrieben. Auch wenn Nele eigentlich schon bei der Gründung der BRD im Geschichtsunterricht ist, fängt sie erst durch die Gespräche mit Irma an, Geschichte als einen lebendigen Prozess zu begreifen, der bis in die Gegenwart greift. Und so beginnt Nele Fragen zu stellen, unbequeme Fragen nach der eigenen Vergangenheit, und Irma beginnt noch einmal ihre Vergangenheit zu durchleben. Nur für das Haus gibt es keine Vergangenheit, in ihm ist alles Gegenwart. Und so sieht es die Existenz der jungen Irma und der jungen Ruth parallel zum Leben der alten Irma und der jungen Nele.
Irma und Nele sind zwei starke und berührende Charaktere. Beide haben es schwer, ihren Platz im Leben zu finden, aber beide machen es sich nicht bequemen. Sie versuchen, ehrlich zu sein mit sich und ihrer Umwelt, auch wenn das nicht immer auf Akzeptanz und Gegenliebe führt. Die beiden sind ein gutes Team, wenn es darum geht, junge Menschen auf den Weg zu bringen, danach zu fragen, was sie das alles angeht, das Vergangene. Und dass das Vergangene nicht vorbei ist, zeigen die Reflexionen des Hauses, eine interessante Perspektive, an die man sich als Leser erst gewöhnen muss und deren Passagen bisweilen ein wenig sperrig zu lesen sind. Zum einen weil die Perspektive bisweilen unvermutet wechselt ohne Ankündigung. Und zum anderen weil das Haus quasi ohne Punkt und Komma spricht bzw. denkt. Darin spiegelt sich die Selbstwahrnehmung des Hauses, die es gleich auf Seite 10 formuliert: unsere Wahrnehmung ist wie ein Satz, der sich immer weiter windend einem kaum absehbaren, aber unausweichlichen Ende entgegenschlängelt, an dem sich, ist es erreicht, die Gesamtheit der Erlebnisse eimergleich über dich ergossen haben wird.
In diesem Band kann man viel lernen über Geschichte und Geschichtsbewusstsein, über Menschlichkeit im Guten wie im Schlechten, die die sich gegen die Unmenschlichkeit stemmt und die, die die Neigung als menschlich ausweist, das Unbequeme und Ungeheuerliche zu verdrängen, um weiterleben zu können.