Birgit Koß, Deutschlandfunk, 5. 2. 2020
Glasklar und einfühlsam schildert die Autorin ihre Personen und deren Milieu: Den schmierigen, teuflischen Hauswart, die jederzeit wachsame, ein Bordell betreibende Nachbarin, den Bandleader, der mit einer Karriere als Sängerin wirbt und Lutie doch nur in sein Bett bekommen will. Auch die unsympathischsten Charaktere zeichnet Ann Petry mit Empathie und zeigt, wie sie aufgrund ihrer prekären Lebensumstände so geworden sind, wie sie sind. Sie beschreibt den elenden Kreislauf des Lebens in Harlem, aus dem sich die Menschen egal mit wieviel Mühe nicht lösen können.
In wortgewaltigen Bildern lässt Ann Petry das Leben in der 116ten Straße während des Zweiten Weltkrieges erstehen, ausgezeichnet übersetzt von Uda Strätling. Ein zutiefst berührender und analytischer Roman, der als erster seiner Zeit die Situation der schwarzen Frau in den Blick genommen und leider viel zu wenig an Aktualität verloren hat.
Tatsächlich ist Petrys tragische Heldin Lutie Johnson eine immens vielschichtige, kämpferische, idealistische und am Ende schicksalhaft scheiternde Gestalt, die nach dem Besten für sich und ihren Sohn Bubb strebt, aber durch die Verhältnisse in einen bodenlosen Abgrund gerissen wird. Sie muss keinen Vergleich scheuen mit anderen großen Frauenfiguren der Weltliteratur. In Lutie spiegelt sich einerseits der amerikanische Geist, Schmied des eigenen Glücks sein zu können. Andererseits ist sie den gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit heillos ausgesetzt: Rassismus, Sexismus, männliche Gewalt und eine verheerende soziale Schieflage alle diese ausgrenzenden Momente überlagern sich, wirken ineinander, verstärken sich gegenseitig.
»The Street« ist eine eindrucksvolle Wiederentdeckung, ein großartig erzählter und psychologisch vielschichtiger Roman. Man würde ihn gerne als historische Beschreibung einer überkommenen Gesellschaft lesen. Aber die Probleme, die darin der Protagonistin nach und nach Glauben und Zuversicht rauben, sind bei allen Fortschritten von der Zeit noch keineswegs überholt worden.
Marlen Hobrack, Taz, 8. 2. 2020
Autorin Ann Petry erzählt diese Geschichte in einer eindringlichen Sprache. Dicht ist der Text, so dicht, dass man spürt, wie Lutie in den engen Wänden des Apartments fast erstickt. Grandios beklemmend, wie Petry von der ersten Begegnung von Lutie und dem Hausmeister Jones erzählt.
Meike Feßmann, Süddeutsche Zeitung, 03. 06. 2020
»Die Straße« beginnt 1944 in Harlem, mit einem Novemberwind, der uns so kraftvoll in die Geschichte hineintreibt, dass es kein Halten gibt. Der Sog, gemischt aus Vorahnung, Genauigkeit, Unerbittlichkeit und immer wieder ausbrechender Panik, ist mitreißend und bildet nebenbei Gedankeninseln von hoher analytischer Treffsicherheit aus. Sie kommen ganz ohne Theorie daher, der »Mee Too«-Debatte unserer Tage wären sie trotzdem gewachsen.
Ann Petry lässt jeder einzelnen Figur Gerechtigkeit widerfahren.
Ihr Roman »Die Straße« erzählt ein Kapitel aus jener Geschichte des rassistischen Amerika, deren Aufarbeitung die Demonstranten in den Städten der USA in diesen Tagen unter anderem einfordern.