In Jiaming Tangs Roman Cinema Love begleiten wir Old Second, der von seiner Familie und seinem Dorf aufgrund seiner Homosexualität verstoßen wird. Er geht nach Fuzhou, in der Hoffnung auf einen Neuanfang, auf ein Leben, in dem er einfach er selbst sein darf. Dort entdeckt er das Workers' Cinema, ein altes, heruntergekommenes Kino, das für viele Männer wie ihn ein geheimer Zufluchtsort ist. Ein Ort, an dem sie sich nach Nähe und echter Berührung sehnen - nach etwas, das sie im Alltag nicht leben können.Dort trifft er auf Shun Er, und was als flüchtiger Blick und stille Sehnsucht beginnt, wird nach und nach zu etwas Tieferem. Doch Shun Er ist verheiratet. Seine Frau, Yan Hua, ist ihm gegenüber zwar dankbar, weil er sie respektvoll behandelt, ganz anders als viele andere Männer in arrangierten Ehen. Aber irgendwann merkt sie, dass etwas nicht stimmt. Und sie erwischt die beiden.In einer Gesellschaft, in der gleichgeschlechtliche Liebe nicht geduldet wird, bleiben vielen Männern nur Scheinehen, um ihre wahren Gefühle heimlich auszuleben. Doch auch diese Geheimnisse sind nicht sicher. Das Kino, soll abgerissen werden. Die Regierung will Platz für moderne, profitablere Gebäude schaffen. Als die Besucher versuchen, das Kino zu retten, eskaliert die Situation und es endet tragisch.Nach diesem Teil der Geschichte wechseln wir zu Yan Hua, Shun-Ers Ehefrau, die später in die USA auswandert, in der Hoffnung, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Aber die Vergangenheit reist mit. Schuld, Erinnerungen, Geister - nichts davon lässt sie los. Gemeinsam mit anderen Frauen versucht sie, sich in New York ein neues Leben aufzubauen, während sie innerlich doch in alten Wunden gefangen bleibt.Was soll ich sagen? Dieses Buch hat mich an so vielen Stellen tief berührt. Diese Sehnsucht, einfach man selbst sein zu dürfen. Die zarte, stille Liebe zwischen Old Second und Shun Er. Die Suche nach echter Nähe. Und gleichzeitig die Perspektive der Frauen, die zwar oft wissen, dass ihre Männer ein Doppelleben führen, aber mit der Scham, dem Betrug und der Einsamkeit allein dastehen.Besonders bewegt hat mich, wie beide Seiten auf ihre Weise leiden. Die Männer, die sich verstecken müssen, und die Frauen, die betrogen werden, obwohl nie wirklich Liebe im Spiel war. Wie aus Verletzung und Verzweiflung Hass entstehen kann. Nichts ist einfach nur gut oder böse. Man spürt, wie viel Schmerz in jeder Figur steckt.Wir verfolgen auch den Weg der chinesischen Einwanderer nach New York. Unter welchen Bedingungen sie ins Land gelangen und wie sehr ihr Komfort von Geld abhängt. Wer mehr zahlen kann, reist etwas sicherer, während andere sich in überfüllte, gefährliche Boote drängen. Die ständige Bedrohung durch Kentern und Tod wird von vielen in Kauf genommen, im verzweifelten Streben nach einer besseren Zukunft. Man spürt das Elend, die Angst, die Hoffnung - und auch die bittere Enttäuschung, wenn die Realität eintrifft: Die USA sind nicht das Land, als das es ihnen versprochen wurde. Als illegale Einwanderer haben sie weder Papiere noch Zugang zu medizinischer Versorgung oder staatlicher Hilfe. Sie werden schlecht bezahlt, schuften oft ohne Pausen und kämpfen täglich ums Überleben.Cinema Love behandelt viele relevante, gesellschaftlich brisante Themen. Der Autor scheut nicht davor zurück, all dies mit großer Deutlichkeit ins Rampenlicht zu rücken.Der Roman begleitet die Figuren über Jahrzehnte hinweg. Besonders das letzte Kapitel und das Ende haben mich zu Tränen gerührt. Cinema Love war für mich eine emotionale Achterbahnfahrt - und ein Buch, das lange nachhallt.Kann man sich überhaupt eindeutig auf eine Seite stellen? Die betrogenen Ehefrauen sind zweifellos Opfer, doch wenn man tiefer blickt, erkennt man, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt.Auch heute gibt es noch Scheinehen. Auch heute verstecken sich viele Menschen, weil die Gesellschaft sie nicht akzeptiert. Weil Politik wegsieht. Das ist traurig. Und das macht dieses Buch so wichtig. Es zeigt, wie Liebe und Sehnsucht manchmal nur im Schatten stattfinden kann. Am Ende wollen wir doch alle nur eines: geliebt werden. Und in den Armen der Person sein, die wir wirklich lieben. Ohne Angst. Ohne Verstecken.Ganz klar: eine absolute Leseempfehlung und ein Jahreshighlight.