In Jónassons "Schmerz" verschwindet ein junger Mann spurlos. Die Ermittlerin Dora, eine durch eine Hirnverletzung gezeichnete Ex-Polizistin, und ihr Kollege Rado, ein bodenständiger Beamter mit Migrationshintergrund, stoßen auf Abgründe, die weit über den eigentlichen Vermisstenfall hinausgehen.
Der Autor setzt auf einen knappen, fast spröden Stil mit kurzen Kapiteln und reduzierter wörtlicher Rede. Die Atmosphäre ist kühl, nordisch düster und verlangt viel Geduld, denn die Spannung entfaltet sich nur langsam. Stark sind vor allem die Figuren. Dora und Rado wirken sehr real, gebrochen und widersprüchlich. Ihr Verhältnis ist gut dargestellt und bewegt sich zwischen Reibung und guter Zusammenarbeit. Thematisch geht es um mehr als einen Kriminalfall. Es geht um Trauma, soziale Ausgrenzung und Schuld. Etwas zäh ist der Mittelteil, in dem der Fall zugunsten der Charakterentwicklung in den Hintergrund gedrängt wird. Das Ende ist passend gewählt, aber wer einen klassischen Whodunit erwartet, wird enttäuscht.
Insgesamt ist "Schmerz" ein literarischer, psychologisch tiefgründiger Thriller mit ungewöhnlichen Charakteren und gesellschaftlichem Blick. Er ist nicht leicht zugänglich, aber lohnt sich.