Thomas ist Anfang zwanzig, hat die Schule abgebrochen und arbeitet, wie vor ihm sein Großvater, als Krabbenfischer an der Küste Englands. Niemand kennt die Gezeiten und die örtlichen Gefahrenstellen so gut, wie Thomas, aber sein Herz gehört heimlich der Musik und dem Gitarrespiel. Und Joan, der Schwester seines besten Freundes.Als eines Tages der Regisseur Edgar Acheson in das Dorf kommt und Thomas bittet, ihn bei Niedrigwasser mit hinauszunehmen, da er einen passenden Drehort für sein neues Filmprojekt sucht, lässt sich dieser schnell überreden. Zumal die Bezahlung gut und eine Abwechslung durchaus willkommen ist. Doch dann verläuft einer der Ausflüge nicht so, wie er sollte, und alles kommt ganz anders als geplant.Benjamin Wood nimmt sich in seinem neuen Roman "Der Krabbenfischer" Zeit, um seinen Protagonisten Thomas Flett und dessen Umfeld zu skizzieren. Und, boy, wie gekonnt er das tut. Ich bin sicherlich keine geduldige Leserin, bei ausführlichen Beschreibungen schweife ich schnell ab. Bei Wood war das anders, er erschafft eine Atmosphäre, in der man sich auf bizarre Weise gleichzeitig wohlfühlt, die aber trotzdem aufgeladen ist mit multiplen Möglichkeiten. Dasselbe gilt für seine Figuren. Sie sind zum einen so urig, dass ich sie gerne persönlich kennengelernt hätte, zum anderen scheint aber auch ein Kippen in alle erdenklichen Richtungen im Raum zu stehen.Wenn ich trotzdem nur vier anstatt fünf Sterne vergeben habe, so lag das vor allem daran, dass die Geschichte im Nachhinein für mich kein homogenes Bild ergeben hat. Zum einen fand ich die Ereignisse zeitlich schwer einzuordnen, was meine inneren Augen dem Werk ein wenig übel genommen haben. Zum anderen schienen mir einzelne Passagen im zweiten Teil des Buches nicht mehr so ganz zu dem Roman zu passen, den ich dachte zu lesen.Aber diesen Kritikpunkten sollte nicht zu viel Gewicht beigemessen werden. Wood hat einen guten Roman geschrieben, das steht völlig außer Frage. Einen, den ich mir gerne angehört habe und der mich auch neugierig auf seine anderen Werke macht.Über Raschid Daniel Sidgi als Sprecher weiß ich gar nicht so viel sagen. Er macht seine Sache gut, doch für mich hatte er kein herausragendes Merkmal, das ihn aus der Masse hervorgehoben hätte. Aber durchaus akzeptabel und angenehm.Übrigens ist auf der Seite von Benjamin Wood eine Aufnahme des Liedes "Seascraper", das im Roman eine zentrale Rolle spielt, verfügbar. Ganz persönlich rate ich nicht unbedingt dazu, es sich anzuhören, denn ich selbst hatte eine ganz andere Vorstellung davon im Kopf, aber wer neugierig ist, wird hier fündig: http://www.benjaminwood.info/seascraper-by-thomas-flett.html"Der Krabbenfischer" war auf der Longlist des Booker Prize 2025, hat es aber leider nicht auf die Shortlist geschafft. Deswegen braucht er meine gedrückten Daumen nicht mehr, aber eine Leseempfehlung gibt es auf jeden Fall.