In Fontanes letztem Roman ist die Dramatik der Gegensätze gemildert. Es gilt der Satz, daß "unsre Prüfungen auch unsre Segnungen sind". Die sich da zu vertrauter Runde auf Schloß Stechlin zusammenfinden, wissen um die Gefahren seelischer und geistiger Erstarrung. Allen voran der liebenswürdige Schloßherr, aber auch sein Sohn Woldemar, die geheimnisvolle Gräfin Melusine und deren stille Schwester Armgard, sie alle sind davon überzeugt: Wer Zukunft gewinnen will, muß aus der Enge heraus. In diesem Sinne ist der verträumte Stechlinsee ihr bewundertes Vorbild, hat er doch Fühlung mit der großen Welt. Wenn es in fernen Ländern rumort, dann regt es sich auch in ihm, ein Wasserstrahl steigt empor, und zuweilen zeigt sich ein roter Hahn, der laut ins märkische Land hineinruft. Der sagenumwobene märkische Stechlinsee ist der große Mitakteur in Fontanes letztem Roman, einem der schönsten Bekenntnisbücher der deutschen Literatur. Erneuerung durch Weltoffenheit ist seine Botschaft, die von denen vernommen wird, die sich in dem alten reizvollen Herrenhaus zu amüsanten Plauderstunden zusammenfinden."Hohe, heitere und wehe, das Menschliche auf eine nie vernommene, entzückende Art umspielende Lebensmusik sind diese Plaudereien" (Thomas Mann).
Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Nach vierjähriger Lehre arbeitete er in verschiedenen Städten als Apothekergehilfe und erwarb 1847 die Zulassung als »Apotheker erster Klasse«. 1849 gab er den Beruf auf, etablierte sich als Journalist und freier Schriftsteller und heiratete 1850 Emilie Rouanet-Kummer. 1855 bis Anfang 1858 hielt er sich in London auf, u. a. als »Presseagent« des preußischen Gesandten. Zwischen 1862 und 1882 kamen die »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« heraus. Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als Kriegsberichterstatter und Reiseschriftsteller war Fontane zwei Jahrzehnte Theaterkritiker der »Vossischen Zeitung«. In seinem 60. Lebensjahr trat er als Romancier an die Öffentlichkeit. Dem ersten Roman »Vor dem Sturm« (1878) folgten in kurzen Abständen seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen sowie die beiden Erinnerungsbücher »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.
Pressestimmen
»Eine Ferienlektüre, die einen dem Dauererregungszustand der Postmoderne entreißt. « Alexander Dick, Badische Zeitung
Stechlin, Brandenburg, 1890er Jahre: Der verwitwete Landadelsmann Dubslav von Stechlin wartet auf seinen Sohn Woldemar, welcher seinen und den Besuch zweier Kammeraden aus seinem Regiment durch Telegrafie ankündigte. In der Folge gibt es viele Unterhaltungen, Menschen lernen sich kennen, tauschen sich aus, vertreten ihre Meinungen."Zum Schluss stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich, - das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht." Mit diesen Worten beschreibt Fontane selbst die Handlung seines Werks.">>Aber der Stechlin! Was ist der Stecklin?<<>>Das ist ein See.<<>>Ein See. Das besagt nicht viel. (...) Aber was hat der Stechlin?<<>>Er hat Weltbeziehungen, vornehme, geheimnisvolle Beziehungen, und nur alles Gewöhnliche (...) hat er nicht. (...) Und wenn es in Java oder auf Island rumort oder der Geiser mal in Doppelhöhe dampft und springt, dann springt auch in unserm Stechlin ein Wasserstrahl auf, und einige (wenn es auch noch niemand gesehen hat) , einige behaupten sogar, in ganz schweren Fällen erscheine zwischen den Sprudeln ein roter Hahn und krähe hell und weckend in die Ruppiner Grafschaft hinein." (S.145)DieseSage vom Hahnim Stechlinsee ist ein brandenburgischerMythos. Wen es heute an den Stechlinsee zieht, kann sich neben einem großen roten Hahn aus Holz fotografieren und die ohrenbetäubende Ruhe der Mecklenburgischen Seenplatte in sich aufnehmen. So ruhig wie der mit 70 Metern tiefste See Brandenburgs mit seinem beeindruckend klarem Wasser ist auch der von der Rezeptionsgeschichte als Fontanes erzählerisches Hauptwerk bezeichnete Gesellschaftsroman.Die, in den Unterhaltungen, welche dem Roman seinen Grund und Boden geben, diskutierten ThemenKonservativismus vs. Sozialdemokratie und preußischer traditionalistischer Landadel vs. Großstadtökonomie lassen sich auf den GrundkonfliktAlter vs. Jugendhinunterbrechen. Der alte Stechlin vertritt dietraditionellen Werte,während sein Sohn als Vertreter der neuen Generation denFortschritt und den Aufbruchin ein modernes, technologisiertes Jahrhundert repräsentiert. Der Roman versäumt es eine befriedigende Lösung für diesen Konflikt aufzuzeigen. Einerseits fasst Fontane den Entschluss:"Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, soweit es geht, und mit dem neuen nur, soweit es muss."( S.372), andererseits lässt er die Verkörperung der alten Generation zum Schluss sterben und das junge Glück triumphiert. Eine neue Generation der Stechline ist gesichert und"es lebe der Stechlin."(S.416)Die Gediegenheit des Romansentschleunigt den Rezipienten und unterhält, aber meiner Meinung nach,muss man den Stechlin nicht gelesen haben.Einen Aktualitätsbezug kann man dem Roman schlecht abgewinnen. Er beeindruckt im Hinblick auf seine kulturhistorische Einordnung in die literarische Strömung des Realismus und seiner Kraft im gesellschaftlichen Diskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts.Doch, wer weder Literaturwissenschaftler noch Historiker oder Stechliner ist, kann dem Roman keinen Erkenntnisgewinn entlocken.So wie sein Protagonist Dubslav erlebte auch Fontane nicht den Übergang in ein neues Jahrhundert. Er starb wenige Monate bevor sein letzter Roman in Buchform erschien. In Anbetracht der historischen Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts vielleicht kein schlechtes Schicksal. Wer weiß, was Fontane dann geschrieben hätte.DER STECHLIN| Theodor Fontane| Fischer Taschenbuch| Fischer Klassik| 2008| 429 Seiten| 8,50€
LovelyBooks-BewertungVon anna_mam 16.01.2020
Ein Klassiker, den ich jedem weiterempfehlen möchte, der sich bei gescheitem Geplauder gut amüsiert, sich nicht an einer armen Handlung stört und zu einigen Recherchen bereit ist. Dieser Roman in Dialogform, denn ja, meistes wird geredet, weiß durchgehend zu unterhalten und ist sehr humorvoll. Allerdings kann man die gewitzten Unterhaltungen, Seitenhiebe der Gesprächspartner und großen Schenkelklopfer oft nur verstehen, wenn man in der entsprechenden Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen, angekommen ist. Ich habe ein bisschen Zeit in Recherchen investiert und mich dann bestens unterhalten gefühlt. So, wie schon lange nicht mehr. Es ist ein Genuss, wie elegant Fontane Dialoge entwerfen kann. Sie wirken sehr lebensecht, hin und wieder mit etwas Dialekt gespickt, und sind doch höchste Kunst. Bei den Recherchen darf man übrigens keine Angst vor Spoilern habe, denn die Handlung dieser rund 500 Seiten passt in wenige Zeilen. Fontane beschreibt seinen Roman, ACHTUNG, SPOILER, folgendermaßen: "Zum Schluß stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich - das ist ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht." Dem ist eigentlich kaum etwas hinzuzufügen und ich lasse es mal so stehen.Fontane entwirft ein Abbild der damaligen Gesellschaft und legt ein besonderes Augenmerk auf den preußischen (Land-)Adel, den er zwar liebevoll respektiert, jedoch für zu sehr im Alten verankert hält um in einer sich erneuernden Welt und Gesellschaft zu bestehen. Hauptsächlich dreht sich der Roman um die Familie von Stechlin, unterer Landadel, aus der Mark Brandenburg und um die des Grafen von Barby, derzeit in Berlin ansässig und der es finanziell sehr gut geht. Die beiden Familien verbinden sich durch eine Heirat. Während der alte Stechlin in seinem "Schloss" zurückgezogen, bescheiden und relativ isoliert lebt, tourt Sohn Woldemar in seinen Flitterwochen durch Italien. Das Bild wird durch zahlreiche Nebenfiguren, teilweise mit viel Witz, vervollständigt. Die Stechlins wuchsen mir sehr ans Herz, mit den Barbys konnte ich weniger anfangen. Jedoch genoss ich die vielen Plaudereien, in denen alle erdenklichen Themen über die damalige Gesellschaft, Kunst, Glaube etc. aufgenommen werden. Immer mit einer Prise Humor und teilweise bissigen Bemerkungen, verpackt in höfliche Umgangsformen. Diese zu entwirren und zu entlarven machte Spaß. Insbesondere Woldemar von Stechlins Kameraden Rex und Czako, ihrer Herkunft nach so verschieden, sich in ihrem Handeln und Reden aber doch umso ähnlicher, konnten mich mit ihren scharfzüngigen Bemerkungen und dem neuesten Klatsch und Tratsch gut unterhalten. Es wird überall mit- und übereinander geredet, manchmal geurteilt. Der Erzähler hält sich vornehm zurück. Zwei kurze Zitate:Woldemars Tante Adelheid, Vorsteherin eines Klosters, bezüglich der Qualitäten einer möglichen Ehefrau ihres Neffen: "Wenn das Herz gesund ist, ist der Kopf nie ganz schlecht."Der alte Dubslav von Stechlin über den örtlichen Superintendenten Koseleger: "Er ist wie 'ne Baisertorte, süß, aber ungesund."Das Buch ist so sehr mit Pointen, Symbolen, historischen Bezügen etc. angereichert, dass es vielseitig interpretiert werden kann und auch wurde. Literaturliebhaber können sich hier nach Herzenslaune austoben. Ich kann das Buch nur empfehlen und würde es auch noch ein zweites Mal lesen.
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