"Die Wand" von Marlen Haushofer ist ein stilles, eindringliches Buch über eine Frau, die von einer unsichtbaren Wand von der Welt abgeschnitten wird - und über das Überleben in absoluter Einsamkeit. Die österreichische Autorin Marlen Haushofer (1920-1970) veröffentlichte den Roman 1963, zu einer Zeit, in der weibliche Lebensrealitäten und innere Konflikte selten literarisch sichtbar gemacht wurden. Ihr Werk wird heute vielfach als feministischer Klassiker gelesen.Worum geht's?Die namenlose Ich-Erzählerin fährt mit Freund:innen in eine Jagdhütte in den Alpen. Am nächsten Morgen ist die Welt jenseits einer unsichtbaren Wand, die plötzlich auftaucht, wie versteinert. Menschen und Tiere jenseits dieser Barriere sind offenbar tot. Von der Außenwelt abgeschnitten, beginnt die Frau ein Leben in völliger Isolation - mit nur einer Kuh, einer Katze und einem Hund an ihrer Seite. In einem Bericht, den sie auf Papier festhält, beschreibt sie ihren Überlebenskampf, ihre Gedanken und ihr allmähliches Ankommen in einem neuen, entmenschlichten Dasein.Meine Meinung"Die Wand" hat mich gleichzeitig fasziniert und abgestoßen. Haushofer beschreibt die Einsamkeit in so nüchterner Sprache, dass sie fast körperlich spürbar wird. Die Erzählung ist völlig entromantisiert - die Natur ist nicht schön oder grausam, sondern schlicht da. Das hat mich beeindruckt, aber auch ermüdet.Sprachlich fand ich den Text monoton, aber stimmig. Die Tagebucheinträge sind schnörkellos, fast emotionslos, was die emotionale Kälte der Situation unterstreicht. Besonders bedrückend fand ich, wie die Ich-Erzählerin ihre Menschlichkeit zunehmend verliert. Sie lebt nicht mehr, sie funktioniert. "Ich lebte nicht, ich arbeitete." (S. 91). Auch ihr Verhältnis zu den Tieren wird zunehmend pragmatisch, ja hart - etwa wenn sie den Tod des Hundes als Erleichterung empfindet.Berührend sind die wenigen Momente echter Nähe: ihre Sorge um die Kuh oder die kleine Katze, das Aufblitzen von Zärtlichkeit im sonst so trostlosen Alltag. Der Moment, in dem sie den fremden Mann erschießt, ist dennoch schockierend - und zeigt, wie sehr sich ihr Wertesystem verschoben hat: "Ich habe den Mann getötet. Ich musste." (S. 197). Es ist eine nüchterne, fast gleichgültige Feststellung.Das Buch ist eine existenzielle Studie über Einsamkeit, Verlust und das Verstummen. Viele Passagen wirkten auf mich beklemmend aktuell - gerade in Zeiten, in denen Isolation plötzlich real wurde (Corona). Und doch blieb ich emotional auf Distanz. Vielleicht, weil die Erzählung so konsequent auf Innerlichkeit fokussiert ist. Vielleicht, weil es keine Entwicklung, keine Hoffnung gibt. Der letzte Satz: "Ich hoffe, sie kommt bald, denn ich will nicht mehr warten." (S. 223) hallt nach - als stiller Ruf nach Erlösung.FazitEin bedrückendes, gedankenreiches Buch, das aber emotional schwer zugänglich bleibt. Sprachlich kraftvoll, aber monoton - ich bewundere die Konsequenz, konnte aber keinen echten Lesegenuss empfinden. Deshalb muss ich - trotz der Bedeutsamkeit dieses Textes für die Literaturwelt - 2 von 5 Sternen geben. Leider hatte ich auch nicht die Zeit, mich dem Werk angemessen zu widmen, da sehr viel auch zwischen den Zeilen steht.