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Produktbild: Kolonialer Wettstreit | Sören Urbansky
Produktbild: Kolonialer Wettstreit | Sören Urbansky

Kolonialer Wettstreit

Russland, China, Japan und die Ostchinesische Eisenbahn. Magisterarbeit

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Buch (kartoniert)
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Ein weiter Weg ist es von Europa bis nach Asien, von Ozean zu Ozean, auch heute noch. Am Tag sieben der Bahnfahrt überquert der internationale Zug Nr. 20 aus Moskau den hohen Bau der Brücke des Songhua-Flusses. Reisende, die nicht das Flugzeug nehmen, brauchen Geduld; gute Lektüre an Bord ist ein teurer compagnon de voyage. Unverhofft liegen zahlreiche Flussschiffe und Fährboote am Südufer im trüben Wasser, dahinter glitzern die Glasfronten der neuen Hochhäuser Harbins in der Mittagssonne. Der Reisende ist entzückt, nach einer langen Woche Taiga, Grassteppe und isolierter Siedlungspunkte plötzlich in eine Stadt einzufahren. Den Augen bleibt kaum Zeit, sich an den neuen Anblick zu gewöhnen.
Wenige Minuten später, wie jeden Donnerstag halb eins Pekinger Zeit, hält der Zug am Hauptbahnhof von Harbin. Durch einen schmalen Gang geleitet, ist bald der Blick auf den ausladenden Vorplatz frei: schlichte Hotel-Zweckbauten und eine unterirdische Einkaufspassage. Ein eher bedrückendes Gefühl, ein kahler Platz voll mit Autobussen, Taxen und Menschen. Wo ist das alte, so bekannte Jugendstil-Empfangsgebäude des Bahnhofs, der einmal Harbin Zentralbahnhof hieß? Wo ist die Kathedrale des Heiligen Nikolaus? Wo ist das russische Harbin?
Erst auf der Anhöhe der Straße der Roten Armee, die in alten Registern noch als "Bahnhofsprospekt" verzeichnet ist, stößt der Besucher auf einige Gebäude, die stutzig machen, russische und sowjetische Spuren allerorten: ein Denkmal zu Ehren der Helden der Roten Armee und unweit davon die einstige Hauptverwaltung der Ostchinesischen Eisenbahn, ein ebenso prominenter Jugendstilbau, von einer grün getünchten Mao-Skulptur vor dem Eingang verstellt. War Harbin also ein russischer Ort?
Harbin war eine russische, ebenso eine chinesische, aber auch eine japanische, koreanische, jüdische und polnische Stadt. Doch heute ist Harbin vor allem eine chinesische Metropole, deren Stadtbild nur noch fragmentarisch an die ebenso kurze wie komplexe Geschichte erinnert. Die Stadt am Songhua-Fluss war gleichermaßen Knotenpunkt und Nebenprodukt der Ostchinesischen Eisenbahn (russisch: Kitajskaja Vostoãnaja Ïeleznaja doroga, chinesisch: Daqing dongsheng tielu beziehungsweise Zhongdong tielu), Zentrum jenes exterritorialen, quer durch Nordostchina verlaufenden Teilstücks der Transsibirischen Eisenbahn.
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Geschichte der Ostchinesischen Eisenbahn von ihrer Planung und ihrem Bau am Ende des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer Übergabe durch die Sowjetunion an die Volksrepublik China im Dezember 1952. Die Bahn fungierte zugleich als Verkehrs-, Kommunikations-, Eroberungs- und Kolonisationsmittel von Chinas Nordosten - jener in vielen Sprachen als Mandschurei bekannten Region -, und dies im Dienst ganz unterschiedlicher Mächte und Kulturen. Zentrales Anliegen der Studie ist dabei die Untersuchung der Kolonisierung und Kultivierung eines Raums durch die Bahn, die damit gleichsam zum "Kulturträger" wird. Die Geschichte der Bahn ist folglich gleichzeitig eine Geschichte der (nördlichen) Mandschurei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, eines zunächst dünn besiedelten und isolierten, jedoch rohstoffreichen und - nicht zuletzt infolge des Bahnbaus - strategisch wichtigen Gebietes, auf das sich die imperialen und kommerziellen Interessen Russlands und Japans richteten.
Die Mandschurei - ein Gebiet größer als Italien, Frankreich und Großbritannien zusammengenommen - ist Menschen in Europa hauptsächlich als das Anbauland der Sojabohne, Hauptschauplatz des Russisch-Japanischen Kriegs oder als Japans Marionetten-Kaiserreich Mandschukuo geläufig. In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts nannten Publizisten die Region "Balkan des Fernen Ostens" oder "Land der Hoffnung". Cineasten mögen den Namen dieser Geschichtsregion, die heute wieder ein integraler Bestandteil Chinas ist, aus John Frankenheimers Thriller Botschafter der Angst oder Bernardo Bertoluccis Monumentalfilm Der letzte Kaiser kennen. Die Mandsc

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Hinweise für den Leser

Vorwort von Karl Schlögel

Einleitung

I. Konstruktion und Destruktion
Die Manchurian frontier - Die Entwicklung des Eisenbahnwesens in China - Der Beginn des Eisenbahnbaus in Russland - Konstruktion: Der Bau der Ostchinesischen Eisenbahn - Destruktion: Die Boxer und andere Saboteure

II. Traum und Wirklichkeit
Das erste Fahrplanjahr - Der Blick aus dem Zugfenster - Der Russisch-Japanische Krieg: Ein Eisenbahnkrieg - Grenzbahnhof Kuanchengzi - Rubelgrab im Fernen Osten - Der Erste Weltkrieg: Die Eisenbahn als Nachschubader - Der Bürgerkrieg: Die Eisenbahn als Fluchtader

III. Neue Meister, neue Ziele
Ein Name als Programm: Generaldirektor Ostroumov - Liaison der Notwendigkeit - Harbin: Kolonialstadt und Zentrum der russischen Emigration - "Güter" vierter Klasse: Die chinesischen Siedler - Parallele Bahnen - Das Schwarze Jahr 1929

IV. Japans Eisenbahnimperialismus
Verschluckt vom Erzrivalen - Ex oriente lux? - Flucht über die Wolken: Die Eroberung des Luftraums - Drawing lines on a map - Der Zweite Weltkrieg: Kein Eisenbahnkrieg

Schluss

Epilog

Anmerkungen

Literatur

Danksagung

Karten

Produktdetails

Erscheinungsdatum
11. August 2008
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
263
Reihe
Globalgeschichte, 4
Autor/Autorin
Sören Urbansky
Vorwort
Karl Schlögel
Illustrationen
19
Weitere Beteiligte
Karl Schlögel
Verlag/Hersteller
Produktart
kartoniert
Abbildungen
19
Gewicht
326 g
Größe (L/B/H)
214/142/18 mm
Sonstiges
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
ISBN
9783593387710

Portrait

Sören Urbansky

Sören Urbansky leitet das Pacific Regional Office des Deutschen Historischen Instituts Washington im kalifornischen Berkeley.

Pressestimmen

Segen der bösen Tat
"Ein gutes, lehrreiches Buch." (Süddeutsche Zeitung, 03. 11. 2008)

Ein sehr lesenswertes Buch, nicht nur wegen seiner Fülle an Informationen, sondern vor allem auch wegen der Anschaulichkeit der Darstellung.
- Klaus Haller - (Osteuropa, 01. 09. 2011)

Besprechung vom 04.04.2025

Gegenseitige Unterstützung war oft von Nutzen
Die beiden Historiker Sören Urbansky und Martin Wagner folgen der Geschichte des Verhältnisses von China und Russland

Schon einmal von Henricus Sneevliet gehört? Unter dem Decknamen "Maring" war er zunächst Agent im damaligen Niederländisch-Ostindien (heute Indonesien), bevor ihn die kommunistische Führung in Moskau Anfang der Zwanzigerjahre in die chinesische Küstenstadt Shanghai entsandte. Sneevliet sollte aus den dort mittlerweile entstandenen marxistischen Lesezirkeln eine Partei in Lenins Geist formen. Tatsächlich wurde wenig später die Kommunistische Partei Chinas gegründet. Von ihrer späteren Bedeutung war sie noch weit entfernt, zunächst folgten erbitterte Auseinandersetzungen im eigenen Land und ein jahrelanger Krieg gegen Japan. Und auch die Moskauer Unterstützer verhielten sich nicht eindeutig. Sie förderten Mao Zedongs Kommunisten, aber auch die chinesischen Nationalisten um Sun Yat-sen und später Chiang Kai-shek.

Die Episode belegt das vielschichtige Verhältnis zwischen Russland und China, wie es die beiden Historiker Sören Urbansky und Martin Wagner in ihrem Buch ausloten - vom ersten russischen Gesandten, der im August 1618 die chinesische Grenzstadt Kalgan erreichte, bis zum Verhältnis der beiden gegenwärtigen Machthaber Wladimir Putin und Xi Jinping. Dabei ist ihnen nicht nur gelungen, eine komplizierte Beziehung zu erhellen, sondern auch zwei Länder zu charakterisieren, die anscheinend ganz anders funktionieren als das westliche Europa oder Amerika.

Einerseits China, das schon ein multiethnisches Riesenreich mit einer recht weit entwickelten Bürokratie war, als von Russland noch keine Rede war, und sich diplomatisch mit dem Rest der Welt im Wesentlichen über ein strenges Ritual- und Tributsystem verband, aber vor allem auf sich fixiert blieb. Und andererseits ein aufstrebendes Fürstentum namens Moskau, das sich anschickte, den eigenen Geltungsbereich zu vergrößern, und seinen Herrschaftszuschnitt und Machtanspruch mithilfe importierter christlicher Symbolik legitimierte.

An den Ufern des Amur standen sich beide Reiche dann irgendwann gegenüber, weil Russland beständig nach Osten und China nach Westen wuchs, grenzten aneinander und hatten an Ähnlichkeit zumindest etwas gewonnen: Beide waren kontinentale Imperien, beide zentrierten Entscheidungsgewalt in einer Person und einen Hofstaat beziehungsweise Beamtenapparat. Zunächst ging es um Handelsbeziehungen, schnell um Gebietsstreitigkeiten, um Grenzverläufe, um gemeinsame Feinde. Immer wieder eskalierten Konflikte, bis hin zu den ethnischen Säuberungen an Chinesen nahe Blagoweschtschensk im Sommer 1900.

Historisch war zunächst China mächtiger, dann Russland, heute ist es wieder das Reich der Mitte. Es geht um Migration, um Kontrolle, um chinesische Gastarbeiter, die beispielsweise beim russischen Eisenbahnbau helfen, oder eine andersgläubige russische Diaspora auf der chinesischen Seite der Grenze. Die für das gegenwärtige Weltgefüge aufschlussreichsten Passagen sind wenig überraschend diejenigen, die sich mit der Geschichte der beiden Länder im zwanzigsten Jahrhundert befassen, als der letzte chinesische Kaiser abdanken musste und dann im Zarenreich die Revolution ausbrach: als Moskau versuchte, Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung des Nachbarn, chinesische Gruppierungen Rat und Anweisungen von dort erbaten, aber zugleich bestrebt waren, sich abzugrenzen. Der Zweite Weltkrieg schließlich erschütterte beide Länder, nirgendwo sonst starben mehr Zivilisten als in Russland oder China.

Gewalt ist eine Erfahrung, die beide Länder teilen. Mongolen, Napoleon und schließlich Hitler überfielen Russland. Engländer, Franzosen, Amerikaner, Russen und Japaner demütigten China militärisch, zerteilten und kolonisierten es. Obwohl von echter Verbundenheit nach den Beschreibungen Urbanskys und Wagners nahezu nie die Rede sein konnte, wird verständlich, warum man einander oft unterstützte. Nicht wegen geteilter Traditionen, sondern weil es vor allem nützlich war und bis heute ist. Man kann bei der Lektüre nachvollziehen, warum China versucht, sich gegenwärtig weitgehend neutral zu verhalten, insbesondere mit Blick auf die Invasion der Ukraine durch Russland.

Und es wird verständlich, warum die chinesische Führung nach Maos Tod entschied, das Land zu öffnen, durch eine gezielte Außenwirtschaftspolitik auf Marktmechanismen zu setzen und so wachsenden Wohlstand zu ermöglichen. Warum die Volksrepublik zur zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und ein wichtiger Exporteur auch anspruchsvoller Industriegüter werden konnte, Hochtechnologie eine dominierende Rolle spielt, Milliardensummen für Künstliche Intelligenz, Halbleiter, Quantencomputer, Raumfahrt und modernste Waffentechnik mobilisiert werden - um nie wieder so wehrlos oder abhängig zu sein wie in den letzten hundertfünfzig Jahren der Kaiserzeit. Deutlich schwerer nachvollziehbar ist hingegen, warum Russland demgegenüber ziemlich stagnierte und ein weltwirtschaftlicher Winzling geblieben ist - und die Russen ihre heutige Führung akzeptieren, die Abnutzungskriege als politisches Mittel wählt und dem Militärischen so großen Raum gewährt. ALEXANDER ARMBRUSTER

Sören Urbansky und Martin Wagner: "China und Russland". Kurze Geschichte einer langen Beziehung.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2025. 329 S., Abb., geb.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.

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