Dafür muss man sich Zeit nehmen
Gabriel García Márquez' "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" ist ein Roman, der mich gleichzeitig fasziniert und manchmal auch an die Grenzen meiner Geduld gebracht hat und genau das macht ihn für mich so besonders.Die Geschichte entfaltet sich über ein ganzes Leben hinweg und dreht sich um das Dreieck zwischen Florentino Ariza, Fermina Daza und Dr. Juvenal Urbino. Während Urbino mit Rationalität, gesellschaftlichem Ansehen und Sicherheit punktet, verkörpert Florentino die unerschütterliche, fast obsessive Form der Liebe. Dass er ganze 51 Jahre, 9 Monate und 4 Tage wartet, bis er seine Chance erneut ergreift, wirkt auf mich gleichermaßen bewundernswert wie auch befremdlich.Márquez gelingt es meisterhaft, die Atmosphäre an der Karibikküste rund um die Jahrhundertwende einzufangen, politische Umbrüche, technische Neuerungen und gesellschaftliche Konventionen bilden den Hintergrund, ohne jemals die Figuren zu überlagern. Gerade diese Verflechtung von individueller Geschichte und historischem Kontext hat mich sehr beeindruckt.Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass dieses Buch keine leichte Kost ist. Die ersten Kapitel empfand ich als schwerfällig, stellenweise fast überladen mit Details. Besonders Florentinos zahlreiche Liebschaften haben mich irgendwann mehr ermüdet als erhellt. Dennoch fand ich die Beschreibungen so sprachlich brillant, dass ich weiterlesen wollte. Es ist kein Roman, der einen durch Tempo fesselt, sondern durch Tiefe und Stil.Besonders gut gefallen hat mir Fermina. Sie ist für mich die spannendste Figur, weil Márquez sie nicht als bloßes Objekt zweier Männer zeichnet, sondern als eigenständige Frau, die ihren Platz zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und eigenen Wünschen finden muss. Ihre Entwicklung macht den Roman für mich erst richtig vielschichtig.Am Ende bleibt eine ambivalente Leseerfahrung zurück. Einerseits habe ich die epische Sprache, die feinen Beobachtungen und die Zeitreise sehr genossen. Andererseits hatte ich immer wieder Momente, in denen ich dachte, dass die Handlung zu sehr ins Stocken gerät oder sich in Nebensächlichkeiten verliert.Trotz dieser Kritikpunkte ist es für mich ein Werk, das in Erinnerung bleibt, weniger wegen der Frage, ob Florentino und Fermina am Ende zusammenfinden, sondern weil Márquez so eindringlich zeigt, wie Liebe in ihren verschiedensten Formen existiert: als Obsession, als Gewohnheit, als Sehnsucht und als Kompromiss. "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" ist für mich kein klassischer Liebesroman, sondern eine Allegorie auf das Leben selbst. Langsam, widersprüchlich, manchmal frustrierend, aber voller Schönheit.Für mich persönlich kein "Pageturner", aber definitiv Weltliteratur, die man gelesen haben sollte.