
Besprechung vom 26.09.2025
Feinde des Glamours
Ute Cohen sorgt sich um die Zukunft der Selbstinszenierung
Ist es überhaupt noch möglich, sich schick anzuziehen, ohne sich in Ideologien zu verstricken? In ihrem Essay "Glamour - über das Wagnis, sich kunstvoll zu inszenieren" nimmt Ute Cohen ihre Leser mit auf eine Reise durch Ausprägungen und Bedeutungen eines nur schwer fassbaren Begriffs. Sie reiht eine große Zahl von Beispielen aus Popkultur, Antike, Geschichte und Philosophie aneinander: Hollywood-Stars wie Ava Gardner und Ikonen wie David Bowie stehen neben Philosophen wie Platon oder den Regenschirmmachern des 19. Jahrhunderts.
Während sich die Geschichte des Glamours im Essay durch Anekdoten aus Historie und Zeitgeist schlängelt, fällt besonders Cohens Fixierung auf die vermeintlichen Blockierer des Glamours auf: "übertriebene Achtsamkeit" und "Sprachaberglauben" sollen ihn hemmen. Das "Reich des glänzenden Wandels und des rebellischen Glamours" habe es, so die Autorin, in einer "moralversessenen Gesellschaft" zunehmend schwer; "Tugendprahler" witterten darin stets eine Bedrohung. Angebliche Gegner des Glamours werden von ihr mit Wortschöpfungen wie "Gruselkabinett der Tugendtotalitaristen" belegt. Dabei bleibt undurchsichtig, auf wen sich Cohen konkret bezieht. Dadurch werden ihre Aussagen mitunter missverständlich.
Besonders deutlich wird diese Schieflage bei Cohens Ausführungen zur queeren Ästhetik. Sie beklagt, dass glamouröses Auftreten von Männern in Deutschland schnell als "parodistischer queerer Firlefanz" abgestempelt wird. Sie fragt also: "Wohin mit der männlichen Koketterie? Hat sie in unseren Gefilden nur noch eine Existenzberechtigung, sofern sie genderpolitisch verbrämt ist?" Es ist zwar zu bedauern, wenn sich Männer in Deutschland nicht von starren Männlichkeitsbildern lösen können aus Sorge, ihnen würde damit umgehend eine bestimmte sexuelle Orientierung zugeschrieben werden - aber ist daran wirklich der Glamour der queeren Szene schuld?
Die Schwäche dieser Argumentation findet sich in dem, was ungeschrieben bleibt: Cohen geht in keiner Zeile darauf ein, wie Glamour von queeren Communities getragen und neu erfunden wird. Er ist essenzieller Bestandteil dieser Minderheitskultur, der Sichtbarkeit und Gleichberechtigung am Herzen liegt. Zwar bezieht sich die Autorin auf Harry Styles oder David Bowie, und doch blendet sie aus, wie sehr die Popkultur von queeren Ikonen lebt, wie sich Glamour dank queerer Stilisten, Make-up-Artists und Fashion-Stars auf den roten Teppichen verbreitet hat. Allein die Verbindung von Glamour und queerer Identität auf den Tanzflächen der Ballroom-Szene hätte ein ganzes Kapitel füllen können. Doch Beobachtungen wie diese hätten nicht hineingepasst in ein Buch, das ein so explizites Feindbild pflegt.
Sprachlich macht das Essay dem Glamour dagegen alle Ehre. Die Autorin führt mit schillernden Worten und brillanter Bildsprache auf nicht einmal zweihundert Seiten durch überraschende Assoziationen und Anekdoten, die spannend erzählt werden. Der Schreibstil fesselt mit eleganten Formulierungen und Ausdrücken. Besonders bestechend ist Cohens etymologische Herleitung ihres Leitbegriffs: Glamour, aus dem Schottischen, bedeute auch "Zauberspruch". Er sei mehr als Schönheit - ein "flirrendes Etwas, das Verstand und Einbildungskraft durcheinanderwirbelt". Glamour breche Regeln, kenne kein Muss, intendiere keine Bekehrung.
Gerade wegen dieser Hervorhebung von Glamour als Überschreitung wirkt die Behauptung, Tugendprahler stünden ihm im Weg, überzogen - ohne Regeln und Konventionen gäbe es auch keinen Reiz, sie zu brechen. Wenn es der Glamour ist, der die Spielregeln verbiegt und sich gegen Regeln aufbäumt, dann können ihn all diejenigen für sich entdecken, die sich vorwagen möchten - ob als "Moralfanatiker", queere Ikone, Regenschirmliebhaber oder auch als Durchschnittsmann. Der Glamour gehört keinem - und allen. ANNA-MAY LOHFELD
Ute Cohen: "Glamour". Über das Wagnis, sich kunstvoll zu inszenieren.
Zu Klampen Verlag, Springe 2025. 144 S., geb.
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